#114 Isabel Bogdan: "Heute kann man sich die Menschen aussuchen, mit denen man durchs Leben geht." [29:44]

28. Mai 2025

Isabel Bogdan
© Heike Blenk

Isabel Bogdan ist Autorin und Übersetzerin mit Gespür für die Tiefe des Alltags. In Wohnverwandtschaften, ihrem dritten Roman, erzählt sie vom Zusammenleben in einer Großstadt, von Altern, Demenz, Nähe, Freiheit und Verantwortung. Mit Jonas Dahm spricht Isabel Bogdan über ihren Weg vom Übersetzen zum Schreiben, Recherchen auf dem Fußballplatz und darüber, warum ihre Figuren so nett sind. 

Am 03. Juni 2025 liest Isabel Bogdan in unserer Reihe Satzwende aus ihrem Roman Wohnverwandtschaften und stellt ihre Kolumne vor, die er für unser Literaturmagazin geschrieben hat.

Zum Nachlesen

Jonas Dahm: 
Herzlich willkommen zum Literaturhaus-Podcast Bremen. Isabel Bogdan ist Autorin und literarische Übersetzerin, nach ihren erfolgreichen Romanen “Der Pfau” und “Laufen” ist zuletzt “Wohnverwandtschaften” erschienen, ein Buch über eine Wohngemeinschaft. Im Mittelpunkt stehen vier unterschiedliche Figuren und ihr Leben miteinander. Darüber wollen wir jetzt sprechen, herzlich willkommen, Isabel Bogdan!

Isabel Bogdan: 
Danke, ich freue mich sehr.

Jonas Dahm: 
Bevor wir zu Wohnverwandtschaften kommen, du hast erst 2016 deinen ersten eigenen Roman “Der Pfau” veröffentlicht. Davor warst du als Übersetzerin tätig - für Nick Hornby, Megan Abbott, Tamar Yellin - und du hast auch eigene Lesungen veranstaltet. Wann war der Moment, als du dachtest, jetzt möchte ich mal was Eigenes schreiben?

Isabel Bogdan: 
Man wird als Übersetzerin eigentlich dauernd gefragt, ob man nicht was Eigenes schreiben möchte und ich glaube, dass die allermeisten KollegInnen einigermaßen genervt sind von dieser Frage, weil da immer so ein bisschen mitschwingt, dass Übersetzen als so eine Art Schreiben zweiter Klasse angesehen wird. Als wäre Übersetzen was für die Leute, die das in Anführungszeichen richtige Schreiben nicht auf die Reihe kriegen, aber so ist es nicht. Es ist einfach eine andere Arbeit. Es kann sich, glaube ich, sehr gut gegenseitig befruchten, aber es ist einfach was anderes. Ich habe immer gedacht, ich bin viel zu blöd, um mir eine Geschichte auszudenken. Ich habe auch gar nicht das Bedürfnis oder das Gefühl, dass ich der Welt was Großes mitzuteilen habe und es gibt da draußen fantastische Bücher, die übersetzt gehören und ich war damit eigentlich immer sehr glücklich. Und dann ist mir aber tatsächlich so ein bisschen die Geschichte vom verrückten Pfau vor die Füße gefallen - also die hat einen realen Kern. Bei Freunden von uns in Schottland, die eben auf so einem alten Anwesen leben, ist tatsächlich ein Pfau verrückt geworden und hat blaue Sachen angegriffen und so weiter. Also die reale Geschichte ging dann auch noch ein bisschen weiter und da habe ich gedacht, das ist so abgefahren, das muss man doch irgendwie erzählen. Dann war es erst eine Kurzgeschichte und dann habe ich gemerkt, naja, du hast deine Geschichte aber gar nicht zu Ende erzählt, weil wenn das so weitergeht, wie sich das in dieser Kurzgeschichte am Ende andeutet, dann wird als Nächstes das und das passieren. Da habe ich gedacht, jetzt musst du weitermachen und versuchen, ob du das hinkriegen kannst, einen Roman zu schreiben.

Jonas Dahm: 
Du hast es jetzt ja dreimal hinbekommen und das letzte Mal mit Wohnverwandtschaften. Da gibt es mit Goethes Wahlverwandtschaften schon gleich einen direkten literarischen Bezug im Titel, aber dein Roman ist keine Aktualisierung von diesem etwas todesverliebten Drama von Goethe, sondern bei dir geht es um eine zeitgenössische urbane Form von Nähe, die WG, also die Wohngemeinschaft. Verbindet dich trotzdem was mit Goethes Text? War das eine Inspiration? 

Isabel Bogdan: 
Das ist die beschämendste Frage von allen. Ich habe die “Wahlverwandtschaften” überhaupt nicht gelesen und der Titel “Wohnverwandtschaften” warzuerst mal ein Scherz. Meine Lektorin hat irgendwann gefragt: “Hast du eigentlich schon einen Titel?” und ich habe gesagt, nee, mir fällt auch gar nichts ein, mir fällt nur so Quatsch ein, wie “Wohnverwandtschaften” und dann schrieb sie zurück: “Super fantastischer Titel! Ich habe es dir schon ein paar Leuten erzählt, alle begeistert, Vertrieb begeistert, Marketing begeistert, Verlegerin ganz aus dem Häuschen!” …und ich dachte am Anfang so, im Ernst, es war wirklich als Witz gemeint und ich kann mir doch nicht gut Goethes Fußstapfen hinstellen, die sind ja vielleicht ein bisschen zu groß und dann meinte sie aber, nee, also dieses Diktum von den Wahlverwandtschaften, das ist inzwischen so sehr in den Sprachgebrauch integriert, dass da niemand mehr an Goethe denkt, aber natürlich werde ich jetzt dauernd auf Goethe angesprochen. Ja, also: Goethe ist da eigentlich mehr so, weil er da so ein bisschen im Weg herumliegt - und immerhin geht es auch um zwei Männer und zwei Frauen, aber nicht ganz so sehr um deren amouröse Verwicklungen.

Jonas Dahm: 
…und die WG ist ja auch nicht nur eine Wahlverwandtschaft bei dir, sondern eigentlich auch eine Zweckgemeinschaft im teuren Hamburg. 

Isabel Bogdan: 
Ja, am Anfang, ja. Am Anfang ist es halt so eine Mischung aus Zweckgemeinschaft, sich die Miete nicht alleine leisten können und auch nicht alleine sein wollen. Das hat bei allen Vieren unterschiedliche Gewichtung. Sich eine Wohnung leisten können ist ja nur das eine, das andere ist überhaupt eine zu finden, das ist ja auch schon nicht so einfach. Anfangs wohnen sie da aus unterschiedlichen Gründen zusammen, teilweise, weil sie das gerne so möchten und teilweise eben aus Gründen der Wohnungsnot. Aber es ändert sich ja dann.

Jonas Dahm: 
Das stimmt, es ändert sich dann und du nimmst einen am Anfang ganz schön damit rein, man verfolgt Konstanze zu Beginn, die zieht erst so skeptisch ein und merkt dann so, dass die WG eigentlich auch ein Ort ist, wo sie Sachen machen kann, die sie in ihrer Zweierbeziehung vorher nicht machen konnte in ihrem Wohnen. Zum Beispiel gute Partys feiern. Welche von deinen eigenen WG-Erfahrungen finden sich denn wieder?

Isabel Bogdan: 
Meine eigenen WG-Erfahrungen sind lange her. Ich habe ganz klassisch als Studentin in einer WG gewohnt. Aber eigentlich denke ich, dass jede Form von Zusammenleben, ob das jetzt eine WG ist oder eine Familie oder eine Beziehung, eigentlich dieselben Themen mit sich bringt. Ich will gar nicht mal Probleme sagen, denn ob diese Themen zu Problemen werden, ist ja dann die nächste Frage. Aber man muss sich ja auch in der Beziehung darüber einigen: Welche Sorte Partys feiern wir, laden wir überhaupt Menschen zu uns nach Hause ein, haben wir es gerne, wenn die Bude voll ist, sitzen wir lieber mit einem befreundeten Pärchen und kochen was Schönes? Wie sauber sind wir, wie ordentlich sind wir, wie einigen wir uns darüber, wer putzt, wer kocht? All diese Sachen. Das sind ja alles Dinge, die gar nicht mal so sehr WG-spezifisch sind, finde ich immer.

Jonas Dahm: 
Was ja so ein bisschen WG-spezifisch ist, was ich echt spannend fand - Konstanze sagt irgendwann: “Erwachsen sein ist echt nice. Ich wusste gar nicht, wie viel Spaß das machen kann.” Also es hat ja was Befreiendes.

Isabel Bogdan: 
Ja, das ist aber, glaube ich, eher Konstanze-spezifisch. Sie kommt aus kleinen Verhältnissen. Ihr Vater ist bei der Post, ihre Mutter jobbt in so einem kleinen Laden. Dann hat sie mit ihrem Lebensgefährten zusammengelebt und ist eigentlich aus dieserBeziehung - ich will nicht sagen geflohen, aber sie hat diese Beziehung beendet, weil sie gemerkt hat, es wird ihr zu langweilig. Sie will nicht den Rest ihres Lebens da im Häuschen im Grünen sitzen und samstags den Rasen mähen und sonntags Tatort gucken. Dafür ist sie zu jung und zieht dann in diese WG - übergangsweise, wie sie meint. Aber sie stellt da erst fest, dass sie erwachsen ist und Sachen machen kann. Und dieser Moment, wo sie das feststellt, ist, wo sie in Murats Schrebergarten durch die Pfützen hüpft und einfach kindischen Quatsch macht, wo sie eigentlich Kindersachen macht, von denen sie plötzlich feststellt: Ich darf das, es geht und niemand verbietet es mir und es gibt keine Vorschriften dafür. Also sie kommt so ein bisschen aus ihrem bisherigen leicht biederen Leben raus. Ich weiß jetzt auch wieder, wo der Faden war, den ich verloren habe - nämlich, dass ich diese ganzen typischen WG-Themen von Putzplänen und nicht weggebrachtem Altpapier und sowas einfach rausgelassen habe, weil ich genau das nicht wollte. Das kommt ja überhaupt nicht vor im Roman, weil mir das irgendwie zu - also das meiste, was da passiert, ist jetzt auch nicht spektakulär, es explodiert nichts und es kracht und knallt nicht - aber das war mir dann doch zu banal, diese Themen, die man ja in jeder Wohnsituation immer hat.

Jonas Dahm: 
Im Roman wechselst du ja so zwischen den Figuren. Also es gibt ja Constanze, Murat, Jörg und Anke, die vier Figuren, die zusammen wohnen. Was hat dich an diesem Hineinversetzen gereizt und wie hast du das recherchiert? Weil alle haben eine ganz andere Perspektive. Der eine ist Fußballfan, die andere ist Zahnärztin, Schauspielerin und es gibt jemanden, der dann Demenz entwickelt. Wie bist du in diese Unterschiedlichkeit reingegangen? 

Isabel Bogdan: 
Das hat mich tatsächlich am Anfang so ein bisschen ausgebremst. Also ich wollte von Anfang an, dass da vier gleichberechtigte Individuen nebeneinander stehen und nicht eine dieser vier Figuren sozusagen aus Versehen zur Hauptfigur wird. Natürlich ist es so, dass Jörg dadurch, dass er diese Demenz entwickelt, dann doch zum gemeinsamen Problem von allen Vieren wird. Aber ich wollte, dass trotzdem die drei anderen gleichberechtigt daneben stehen. Bei den beiden anderen Romanen war es so, dass ich immer am Anfang erstmal so ein bisschen drauflosgeschrieben habe und wenn ich dann irgendwann das Gefühl hatte, ich verlege jetzt den Überblick, dann habe ich mir einen Plan gemacht und irgendwie mit Tabellen oder Karteikarten oder sonst irgendwas gearbeitet. Bei diesem hier hatte ich das Gefühl, ich kann das nicht so mal drauflosschreiben, sondern, wenn ich vier Perspektiven ineinander schachteln will, dann brauche ich vorher einen Plan. Aber wie soll ich mir denn einen Plan machen, wenn ich meine Figuren noch gar nicht kenne? Das war bisher immer so, dass sich die Figuren eigentlich so richtig erst beim Schreiben entwickeln. Das hat mich am Anfang ziemlich ausgebremst. Und was ich dann gemacht habe, war, dass ich erstmal eine ganze Reihe von Konstanze-Kapiteln geschrieben habe. Nicht alle, aber so einige. Dann habe ich einige Anke-Kapitel geschrieben, um mich diesen Figuren anzunähern. Und in diesen Kapiteln kommen natürlich dann auch die jeweils anderen Figuren auch drin vor. Ich habe mir Murat so ein bisschen als Zuckerstückchen zum Schluss aufgespart, weil ich da von Anfang an das Gefühl hatte, den kenne ich schon am besten. Der ist mir irgendwie als Typ am klarsten. Dann habe ich aber irgendwann gedacht, wenn ich auch den dementen Jörg aus der Ich-Erzähler-Perspektive schreiben will, das geht ja gar nicht. Dann sagte jemand: Ja stimmt, das geht nicht. Da bin ich sofort bockig geworden und habe gedacht, das wollen wir doch mal sehen, ob das nicht geht. Und dann habe ich irgendwann, nachdem ich einige Konstanze- und einige Anke-Kapitel geschrieben hatte, gedacht, ich kann diese Frage jetzt aber nicht noch länger vor mir herschieben. Ich kann mir nicht den dementen Jörg bis zum Ende aufsparen und dann feststellen, ich kriege es nicht hin. Dann bin ich bei Jörg irgendwie ziemlich spontan weit hinten reingesprungen - der Roman erzählt ja insgesamt über zwei Jahre - um einmal auszuprobieren, ob das irgendwie geht, diese Demenz aus der Ich-Erzähler-Perspektive darzustellen. Und dann fand ich, das ging. Und dann habe ich sehr, sehr viel mit Karteikarten gearbeitet, in vier verschiedenen Farben für diese vier Figuren, und habe die oft, sehr oft, auf meinem Tisch ausgebreitet, umsortiert und nochmal geguckt und dann sagte meine Lektorin: Zieh doch das mal nach vorne… und dadurch verschiebt sich natürlich wieder alles und dann sortiert man wieder alles neu und dann steht es und dann denkt man, ah nee, das geht ja gar nicht, weil da ja Weihnachten ist, Weihnachten kann ich nicht verschieben, also muss dann wieder was anderes woanders hin. Das war eine ziemliche Fummelei, bis das so stand. 

Jonas Dahm: 
Das klingt nach einer interessanten Zettelwirtschaft. Ich würde gleich gerne nochmal auf das Altern kommen, weil ich diese Innenperspektive von Jörg großartig gelungen finde, aber vorher vielleicht nochmal auf diese Dynamik zwischen den Figuren. Gibt es da eigentlich auch Sachen, die dich dann selber als Autorin überraschen? Also du hast eine Figur, dann spricht die mit einer anderen - es gibt ja viel Dialog - dass dann Dinge sich entwickeln, wo du denkst, ah interessant, dass diese Person diese Sache macht, die hatte ich jetzt gar nicht so geplant, sondern die ergibt sich dann mehr so aus dem ‘Gespräch aufschreiben’.

Isabel Bogdan: 
Da warte ich immer drauf, so ein bisschen, weil ich immer das Gefühl habe, ich kann über meine Figuren manche Dinge vorher einfach entscheiden, muss ich ja auch, ich muss mir ja irgendwelche Figuren überlegen und kann entscheiden ‘Constanze ist eine junge Zahnärztin, die ist frisch getrennt und zieht da ein und meint, dass sie bald wieder auszieht und dass das Übergangsweise ist’ ... Das kann ich vorher entscheiden, aber dann weiß ich noch nicht, wie die so tickt und wie die drauf ist und dann merke ich sozusagen beim Schreiben ‘ah okay, die ist so ein bisschen unentspannt am Anfang und die ist so ein bisschen brav’ und irgendwann denke ich dann ‘ach ja, die kommt aus kleinen Verhältnissen’ und dann denke ich ‘oh Mist, jetzt heißt sie aber Constanze, ist ja eigentlich so ein klassischer Bildungsbürgername, das passt gar nicht’ und dann habe ich noch versucht, sie umzubenennen und habe ihr irgendeinen anderen Namen gegeben - ich weiß schon gar nicht mehr, wie ich sie genannt habe, es hat null funktioniert, weil sie in meinem Kopf einfach schon Constanze war. Jetzt habe ich irgendwo reingeschrieben, dass ihre Mutter Fan von Constanze Engelbrecht war, damit das wieder irgendwie plausibel ist und ja, solche Dinge passieren dann zwischendurch. Oder, ich habe von Anfang an gedacht, Murat ist so ein Typ, der ist so in den 40ern und kickt in einer Hobbyfußballmannschaft. Ich dachte, das passt und dann habe ich mich mit meinem Kollegen Ingo Herzke getroffen - von dem garantiert alle schon Übersetzungen gelesen haben - der auch in so einer Mannschaft spielt und der mir das alles genau erklärt hat: Wie es bei ihnen zugeht, was sie für Vorsichtsmaßnahmen haben, weil sie alle über 50 sind und da war natürlich einfach, dass es verletzungsträchtig ist… Dann habe ich diese Szene geschrieben und ich glaube, mir ist erst Monate später aufgegangen, dass Murat natürlich auch Fußballfan ist und da dachte ich dann selber ‘meine Güte, wie begriffsstutzig kann man denn sein, das liegt doch total auf der Hand, logisch ist er Fußballfan’ . Dann war ich im Stadion und hab mir zwei Spiele angeschaut, damit ich was zum Schreiben habe.

Jonas Dahm: 
Warst du dann bei St. Pauli? 

Isabel Bogdan: 
Ja, logisch war ich bei St. Pauli! Ich hab mir zwei Spiele angeguckt, einmal gegen Magdeburg, das war langweilig, das war irgendwie mittags und es gab Alkoholverbot, weil die Magdeburger Fans sich eine Woche vorher in Kiel schlecht benommen hatten und es ging 0 zu 0 aus und es war so ein bisschen boring und dann war ich ein paar Wochen später beim Spiel gegen Schalke, es war schön abends mit Flutlicht, es war irgendwie noch perfekte Temperatur, es war so ein lauer Sommerabend und es ging, glaube ich 3 zu 1 aus. Ich war mit besagtem Kollegen Ingo da, der Schalke-Fan ist und das war natürlich alles ein großer Spaß.

Jonas Dahm: 
Neben Fußball gibt es noch eine andere Sache, die auftaucht immer wieder: Kochen und Essen. Ich habe mich gefragt, ist das für dich so das Modell für ein gutes Zusammenleben oder vielleicht sogar für ein gutes Leben?

Isabel Bogdan: 
Das ist eine super Frage! Ich werde sonst immer gefragt, ob ich gerne koche und die Wahrheit ist, ich koche ganz gerne, man kann das auch essen, was ich koche, aber ich bin jetzt überhaupt keine große Köchin, ich mache da kein großes Gewese drum. Aber ich liebe es einfach, mit Menschen um einen Tisch herumzusitzen und zu essen und zu reden und ich finde, das hat was Gemeinschaftsstiftendes und auch in einer WG, oder in jeder anderen Situation, mit Freunden oder Familie, ist dieses gemeinsam am Tisch sitzen und essen - und es macht eben nicht jeder sein Ding und guckt auf sein Handy, sondern man redet über irgendwas…. Das liebe ich einfach total. Außerdem ist ja vor allem Murat so ein wahnsinnig sinnlicher Typ, der liebt es in seinem Schrebergarten mit den Händen im Dreck zu wühlen und sein Gemüse wachsen zu sehen und Menschen anzufassen und zu kochen und mit Obst und Gemüse zu hantieren und einen Teig zu kneten… Das passt einfach gut zu diesem Typ, er ist ja auch ein Genießer, der es liebt für alle zu kochen und alle an seinen Tisch zu versammeln und der immer die Tür aufmacht und sagt ‘kommt mal alle rein’.

Jonas Dahm: 
Also man möchte auf jeden Fall gerne mit ihm zusammen wohnen.

Isabel Bogdan: 
Also mir haben auch schon Leute gesagt, eigentlich wünscht man jedem einen Murat in seinem Leben - und ich finde das auch. 

Jonas Dahm: 
Ich würde nochmal bei den Idealvorstellungen bleiben, weil wir da gerade sind. Ist das so deine Ideal-WG? Könntest du dir persönlich vorstellen da zu wohnen oder würdest du denken, naja…?

Isabel Bogdan: 
Ich würde da, glaube ich, sofort einziehen. Das ist sicher alles ein bisschen ideal, wie es da ist. Ich habe das auch schon mit geradezu vorwurfsvollem Unterton gehört, meine Figuren wären immer so nett. Ich habe tatsächlich auch zwischendurch überlegt: Mit dieser Demenz, die sich da bei Jörg entwickelt, wäre es wahrscheinlich auch plausibel gewesen, wenn einer der drei anderen irgendwann mal gesagt hätte ‘nee Leute, es reicht, ich kann das hier nicht, ich will das nicht, ich sehe das auch nicht als meine Aufgabe an’... Das konnte ich dann aber nicht mehr machen, weil ich die einfach alle schon viel zu sehr mochte und fand, die sind alle nicht der Typ dafür. Ich denke auch manchmal - ich will überhaupt nicht leugnen, dass es da draußen einen Haufen Arschlöcher gibt - aber im Großen und Ganzen sind wir ja nett zueinander und hoffentlich vor allem zu den Leuten, mit denen wir zusammenleben. Wenn man ganz normal in eine Bäckerei geht und ein Brötchen kauft, dann geht man da rein und sagt “Guten Morgen” und dann sagt man “Danke” und “Bitte” und “Auf Wiedersehen”. Nur ist das nichts, worüber normalerweise geschrieben wird. Es wird ja meistens über das geschrieben, wo es knirscht. In meinem Roman knirscht es auch, aber nicht da, wo es um den Umgang untereinander geht - und ja, eigentlich wünscht man jedem ein solches Umfeld.

Jonas Dahm: 
Ja, ich habe mich dann eigentlich auch gefreut, dass du bei dieser solidarischen Form des Zusammenwohnens bleibst, weil ich direkt davor noch mal Goethe gelesen hatte, also die Wahlverwandtschaften und da geht es ja dann immer mehr ins Schlechte… und das ist bei dir eigentlich nicht so, das finde ich eigentlich sehr schön. Du hast ja trotzdem Themen drin, die wirklich nicht leicht sind. Du hast das Altern drin, du hast Demenz drin und du zeichnest ein Bild davon, wie hart das ist. Aber du hast auch Momente, wo man merkt, man kann mit Demenz, man kann versuchen, den Leuten trotzdem nahe zu sein, denen zu helfen, denen vielleicht auch schöne Momente zu ermöglichen. Da gibt es ein schönes Zitat, da sagt Anke über Jörg: "Wir müssen versuchen, ihm die schönen Fische zu zeigen." Also, es geht um das Untergehen in der Demenz, aber ein Untergehen, was eben nicht nur nach unten und in die Tiefe führt. 

Isabel Bogdan: 
Also ich glaube, dass Demenz ein Thema ist, das uns alle zunehmend betreffen wird. Ich sehe das auf meinen Lesungen, dass im Publikum ungefähr alle nicken und dieses Gefühl, alle hatten schon mal irgendwie damit zu tun, die Großeltern, die eigenen Eltern, der eigene Partner oder die Partnerin, also fast alle sind damit irgendwie schon in Berührung gekommen und ich glaube, wir werden alle immer älter und wahrscheinlich auch immer dementer. Wir sterben nicht mehr so schnell am Herzinfarkt oder Schlaganfall - und da müssen wir einen Umgang finden. Das ist wahnsinnig hart, man muss erstmal wirklich kapieren, das ist jetzt nicht mehr so ein bisschen vergesslich, sondern da fängt jetzt eine Demenzgeschichte an und das irgendwie akzeptieren. Ganz oft reagiert man ja am Anfang sogar noch genervt. Selbst wenn man schon weiß, es gibt eine Diagnose und es einem selber schon klar ist. Man denkt trotzdem ‘Mann, das habe ich dir doch jetzt schon fünfmal erzählt’. Obwohl man weiß, dass niemand aus Bosheit behauptet, er wüsste etwas nicht. Ich finde das wirklich einen ganz schwierigen Prozess, damit irgendwie klarzukommen. Wenn man das dann aber einmal akzeptiert hat, dass jetzt wirklich vieles einfach überhaupt gar nicht mehr geht, dann ist eigentlich die einzige vernünftige Möglichkeit, es demjenigen so schön wie möglich zu machen und ihm nicht dauernd zu sagen ‘das müsstest du aber eigentlich wissen, ach hast du das auch wieder vergessen’ sondern einfach akzeptieren, wenn derjenige Quatsch redet, dann redet man halt selber auch Quatsch mit. Arno Geiger hat das ganz toll ausgedrückt in seinem Buch über seinen Vater “Der alte König in seinem Exil”, dass der demenzkranke Vater in einer anderen Welt lebt. Er kann nicht über die Brücke in unserer Welt, also müssen wir über die Brücke zu ihm. Das ist aber auch etwas, das man erstmal schaffen muss.

Jonas Dahm: 
Was du, finde ich, sehr schön schaffst und wo du auch eine Brücke schlägst: Du schreibst aus Jörgs Innsicht, also aus der Innsicht eines Demenzkranken, mit denganzen Vergesslichkeitsschleifen, die sich immer wieder produzieren. Wie hast du das recherchiert, wie bist du da reingekommen?

Isabel Bogdan: 
Ich musste da gar nicht so viel recherchieren, weil ich das Thema gerade ziemlich deutlich vor der eigenen Nase habe. Was mir als Autorin zugutekam, ist, dass diese Krankheit so wahnsinnig unterschiedlich verläuft. Manche Demenzkranke haben Wortfindungsstörungen, bei anderen ist das nicht so schlimm, manche werden aggressiv, andere nicht. Da konnte ich mir so ein bisschen zusammensuchen, wie ich das für Jörg als passend empfinde. Was ich dann gemacht habe, ist, dass sozusagen von Kapitel zu Kapitel im Laufe dieser zwei erzählten Jahre seine Welt immer kleiner wird. Er war ja früher Journalist, er hat große Reportagen geschrieben, er hat viele Themen breit recherchiert, er ist viel gereist, hat viel gelesen, seine Welt war groß. Gegen Ende dieser zwei Jahre versucht er eigentlich nur noch - da sitzt er zu Hause in seinem Wohnzimmer - und versucht irgendwie, diese unmittelbare Umgebung sortiert zu kriegen. Das gelingt mal besser und mal schlechter und es kippt auch dauernd. Es ist nie zuverlässig, was er gerade weiß und was er nicht weiß. Dann weiß er schon fünf Minuten später wieder was, was er gerade nicht wusste oder umgekehrt. Auch die Stimmung kippt manchmal ganz schnell. Einmal ist noch tiefe Verzweiflung, weil er wieder irgendwas nicht weiß und nicht geregelt kriegt. Dann guckt er sein Bücherregal an und denkt ‘ach Mensch, das ist wirklich ein schönes Regal, das habe ich damals gekauft, als wir noch ganz jung waren’ und freut sich über das schöne Regal. Also mit diesen Sachen habe ich versucht, darzustellen, dass er sich dauernd Fragen stellt und merkt, dass er es alles nicht mehr geregelt kriegt, aber sich dann auch wieder schnell ablenken lässt.

Jonas Dahm: 
Man soll ja keine Lieblinge haben. Aber hast du jemanden, der dir besonders ans Herz gewachsen ist von diesen vier Figuren?

Isabel Bogdan: 
Es war eigentlich immer gerade die, an der ich schrieb. Ich mag die schon wirklich alle sehr. Constanze, mit ihrem langsamen Aufblühen, sich locker machen und sich da einfügen in diese WG. Murat, mit seiner ganzen liebevollen Herzlichkeit und guten Laune, der natürlich aber auch was mit sich herumschleppt. Anke ist mir natürlich vom Alter her am nähsten. Sie ist Schauspielerin und bekommt keine Rollen mehr, weil sie über 50 ist. Das war mir tatsächlich vorher nicht so klar, was für ein Riesenthema es ist, dass Frauen ab einem gewissen Alter im deutschen Film quasi nicht vorkommen. Dass es einfach für Schauspielerinnen über Mitte 40 kaum Rollen gibt, weil diese Frauen einfach gar nicht erzählt werden. Ja, und Jörg möchte man einfach nur… Ich weiß nicht, dem möchte man es so schön wie möglich machen, weil der auch so ein Guter ist, dem man einen schönen Lebensabend und noch ein paar schöne Reisen gewünscht hätte. Das ist ja eigentlich auch viel zu früh für diese Demenz. Der ist ja noch nicht mal 70. 

Jonas Dahm: 
Deine letzten beiden Bücher “Der Pfau” und “Laufen” sind beide verfilmt. Steht das für Wohnverwandtschaften auch an?

Isabel Bogdan: 
Ich glaube, dass 2 von 2 Büchern verfilmt werden, ist schon so unwahrscheinlich, dass ich jetzt nicht auf 3 von 3 hoffe. Worauf ich tatsächlich hoffe, ist ein Theaterstück. Ich glaube, dass das super geeignet ist. Das sind 4 Figuren. Man kann alles, was passiert, irgendwie in die WG und in den Garten verlegen. Man bräuchte eigentlich nur 2 Arten Kulisse und 4 Figuren. Also ich meine, das müsste wirklich super geeignet sein. Manmuss halt diese Monologe in Dialoge übersetzen. Aber das dürfte eigentlich gehen. Das wäre jetzt so meine Hoffnung, dass das vielleicht ans Theater könnte. Aber das entscheide ja nicht ich.

Jonas Dahm: 
Es ist ja trotzdem ein guter Aufruf an dieser Stelle, an die Theater, sich den Stoff mal anzugucken. Ich komme noch mal auf die WG zurück. Könntest du dir jetzt vorstellen, auch wieder in eine WG zu ziehen? Oder ist das kein Thema?

Isabel Bogdan: 
Ich glaube, wenn ich nicht mit meinem Mann zusammenwohnen würde, könnte ich mir das sehr gut vorstellen. Wenn es so eine WG ist, die so friedlich und freundlich ist, kann ich mir das gut vorstellen. Vor allem in den großen Städten gibt es ein zunehmendes Problem mit Einsamkeit. Es gibt viel zu viele Single-Wohnungen. Also ich finde, das ist eine gute Option. Meine Lektorin sagte mal, noch vor 30 Jahren hätte sie so einen Roman kaum schreiben können, weil das überhaupt nicht vorgesehen war. Wir haben ja alle noch so sehr gelernt, dass irgendwie das eine große Ziel im Leben ist, die romantische Liebe zu finden und dann glücklich bis ans Lebensende in dieser Kernfamilie zusammenzubleiben. Aber die Statistiken zeigen, so ist es nicht - und es gibt heute die Möglichkeit, sich aus Beziehungen auch wieder zu verabschieden. Man muss nicht mehr mit der Person, die man geheiratet hat, den Rest des Lebens zusammenbleiben. Gott sei Dank. Da gab es ja auch viel katastrophal toxisches. Es gibt heutzutage diese Möglichkeit, sich seine Lebensgefährten im wörtlichen Sinne, also die Menschen, mit denen man durchs Leben geht, mit denen man zusammenlebt und zusammenwohnt, einfach auszusuchen. Ich glaube, dass da eine große Chance liegt.

Jonas Dahm: 
Ein schönes Buch gegen die Einsamkeit: Isabel Bogdans “Wohnverwandschaften”. Vielen Dank für dieses schöne Gespräch!

Isabel Bogdan: 
Vielen Dank für die Einladung!

---

Der Text wurde KI-gestützt transkribiert.