#125 Mascha Unterlehberg: „Mir haben diese Bücher gefehlt, diese Ambivalenz in Mädchenfreundschaften“ [27:27]
Der erste Roman und dann direkt so erfolgreich: Mit Wenn wir lächeln hatte Mascha Unterlehberg einen grandiosen Auftakt in die Literaturszene. In dieser Folge spricht sie mit Frieda Ahrens über die Themen ihres Buches: Freundschaft zwischen Frauen, die großen Gefühle in der Pubertät, das Zurechtfinden in der Welt.
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Frieda Ahrens:
Hallo und herzlich willkommen zur neuen Folge des Literaturhaus Podcast, diesmal mit Frieda Ahrens und zu Gast in dieser Folge ist Mascha Unterlehberg. Hallo Mascha.
Mascha Unterlehberg:
Hallo, ich freue mich, hier zu sein.
Frieda Ahrens:
Schön, dass du da bist. Ich kläre nochmal allen, die zuhören, wer du bist. Und wenn ich Fehler mache, dann unterbrich mich einfach direkt. Du hast Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte in Freiburg und Paris studiert. Und du bist, und deshalb bist du hier, Autorin. Dein Debütroman heißt Wenn wir lächeln und es geht um eine Freundschaft zwischen zwei Jugendlichen, zwischen zwei jungen Frauen. Und es geht auch ein bisschen darum, sich selbst auszuprobieren. Und es geht so ein bisschen um Wut, habe ich das Gefühl. In dem Buch verhandeln sich mehrere Themen parallel. Deswegen dachte ich, frag ich dich mal als erste Frage: Was ist denn für dich das Thema des Buches?
Mascha Unterlehberg:
Ja, für mich ist das Thema des Buches tatsächlich diese Freundinnenschaft zwischen den beiden jungen Frauen, zwischen Jara und Anto. Die steht für mich sehr im Zentrum. Und das war auch das erste, wovon ich wusste, dass ich darüber schreiben will. Dann bin ich wirklich um diese beiden Figuren sehr lange gekreist und habe deren Beziehung in all ihren Höhen und Tiefen, Ambivalenzen entwickelt. Und dann kamen diese anderen Themen und diese Wut einfach dazu, weil ich über junge Frauen in dieser Zeit geschrieben habe und gemerkt habe, dass Wut da einfach ein sehr großes Thema ist. Zumindest für mich.
Frieda Ahrens:
Die beiden sind ja sehr unterschiedlich, also auch sehr unterschiedlich groß geworden. Jara hat so eine Mutter, die so sehr umsorgend ist. Dann geht sie auf eine viel bessere Schule und so, das ist ihr dann irgendwann auch wichtig. Und Anto hat viel Geld, so scheint es, und wohnt aber alleine, weil ihre Eltern nicht so eine große Rolle spielen in ihrem Leben. Und die beiden treffen aufeinander. Wie hast du die so konstruiert als Figuren? Also welche Eigenschaften waren dir wichtig, dass die beiden haben, sodass das im Gefüge auch irgendwie funktioniert oder sich manchmal auch reibt?
Mascha Unterlehberg:
Also mich hat schon so eine Freundschaft, wie du gesagt hast, von zwei sehr ungleichen Personen interessiert. Wo die eine eben so sehr stark wirkt und die andere eher in ihrem Schatten steht. Und was passiert, wenn die sich dann versucht, daraus zu befreien oder welche Dynamiken es gibt, die vielleicht auch irgendwann kippen und wodurch kippen die usw. Und ich hatte als erstes als Figur Anto, also die Freundin. Anto ist die sehr selbstbewusste, auf den ersten Blick sehr taffe Person und Jara ist die Erzählerin, die eben so auf auf Anto blickt. Und Anto war so eine Figur, wo ich dachte, das ist vielleicht die Freundin, die man als junger Mensch an seiner Seite haben würde, man selbst nicht so super selbstbewusst oder selbstsicher ist. Und genau dann habe ich am Anfang eben einfach sie entwickelt und sie hat dann auch sehr stark den Ton der Geschichte und das Tempo usw vorgegeben und dabei hat sich dann immer mehr Jara aber auch als eigene Person entwickelt und ich habe mich immer mehr angefangen für ihre, ja, ihre Verletzlichkeit, ihre Abgründe und ihre Gedanken, die ja teilweise schon sehr, sehr komplex und teilweise fast obsessiv sind, zu interessieren. Und irgendwann hatte ich die beiden Figuren, die sich dann eben so angezogen und abgestoßen haben, ich würde schon sagen, im Zentrum stand am Anfang Anto, also tonangebende, starke, schillernde Persönlichkeit.
Frieda Ahrens:
Ist ja total spannend, dass du sagst, du hast dir zwei Figuren überlegt und die, die am Anfang stand und die Tonangebende war, wird dann aber nicht deine Protagonistin, sondern die andere wird die, aus deren Perspektive man blick. Und wo ich als Außenstehende auch denken würde: Die Autorin kennt wahrscheinlich die Protagonistin am besten und vielleicht stimmt es dann ja auch gar nicht.
Mascha Unterlehberg:
Doch. Also ich glaube, mich hat schon einfach die Protagonistin interessiert in ihrem Blick auf eine andere Person. Und in ihrer Definition von sich selbst bezüglich auf eine anderen Person. Also dieses “Wie vergleicht man sich vielleicht auch mit einer anderen Person?”, wie orientiert man sich an jemandem. Und sie hat auch diesen sehr großen Wunsch nach absoluter Nähe in dieser Freundinnenschaft und gleichzeitig erzeugt sie selbst auch Grenzen dadurch, dass sie über bestimmte Dinge nicht mit Anto spricht. Und so weiter. Und ja, diese ganze Komplexität hat mich schon interessiert aus Jaras Perspektive. Aber ich wusste aus Jaras Perspektive - ja, so kann man das vielleicht sagen - wer Anto ist, bevor ich wusste, wer Jara eigentlich selbst ist und was so ihre tieferliegenden Gedanken sind.
Frieda Ahrens:
Wie man es vielleicht ja auch bei sich selbst manchmal hat. Also es ist ein bisschen blöd, aber gerade so in dem Alter erkennt man sich ja auch Stück für Stück erst selbst.
Mascha Unterlehberg:
Genau. Und auch viel über die Blicke nach außen und dieses “sich mit anderen vergleichen” und sich orientieren an anderen Personen. Das ist das, was Jara macht.
Frieda Ahrens:
Hat diese Erzählweise des “Es gibt da eine andere Frau und an der messe ich mich” oder man steht eben in Konkurrenz, man will Sachen für sich haben und dann aber auch Sachen teilen. Funktioniert das, weil das weibliche Personen sind?
Mascha Unterlehberg:
Ja, leider. Also ich glaube schon, dass das was sehr Strukturelles, sehr Gesellschaftliches ist, dass Frauen irgendwie dazu sozialisiert werden, sich miteinander zu vergleichen, sich aneinander zu messen. Das ist so, dieses Narrativ gibt “es kann nur eine schönste geben” und es ist wichtig, schön zu sein usw. Und es gibt schon Momente, in denen die beiden auch versuchen, das zu brechen. Eben durch diesen absoluten Zusammenhalt und dieses sich irgendwie gegenseitig feiern und auch sich gegenseitig sagen, wie toll man sich findet. Aber das ist eben schon sehr tief verankert. Diese Angst, irgendwie neben einer anderen Person nicht gleichwertig bestehen zu können.
Frieda Ahrens:
Ich habe das Gefühl, diese Geschichten von zwei Freundinnen, da gab es ganz lange eine Lücke in der Literatur. Ich habe das Gefühl, so Freundinnen-Geschichten wurden, also wenn wir jetzt mal die Kinderliteratur ausklammern, aber so Coming-Of-Age-mäßig wurde das nicht so oft erzählt und da fällst du ja direkt rein. War das auch so ein Bedürfnis, so eine Lücke zu schließen?
Mascha Unterlehberg:
Also ich habe nicht bewusst gedacht, oh, da gibt es keine Geschichten, so, die will ich erzählen. Aber rückblickend würde ich schon sagen, mir haben diese Bücher ein Stück weit gefehlt. Auch diese Ambivalenz von so einer Beziehung, gerade in so einer sehr, sehr jungen, sehr frühen Phase. Ich kannte dann tatsächlich eher Filme, in denen so was verhandelt wird, so was wie Thirteen oder so, aber wenig Bücher tatsächlich. Ich habe das Gefühl, dass jetzt zunehmend, also vielleicht nicht Coming of Age, aber eben Bücher, in denen so Frauen und auch Frauenfreundschaften im Mittelpunkt stehen, gelesen werden und dadurch vielleicht auch sichtbarer werden. Ich denke, dass es die wahrscheinlich schon immer irgendwie gab, aber dass es jetzt mehr Raum dafür gibt, einfach.
Frieda Ahrens:
Und was mir auch auffällt. Ich habe bei der Formulierung der Frage nachgedacht, ob das so stimmt. Aber ich habe das Gefühl, dein Buch reiht sich so ein in Büchern, wo es junge weibliche Protagonistinnen gibt und die sich sehr gut lesen lassen, obwohl sie sehr komplexe Themen verhandeln, aber trotzdem sehr niedrigschwellig sind in so einer Lesart. Also mir fällt da Ruth Maria Thomas ein oder auch Caroline Wahl. Beides auch junge Autorinnen, die Bücher schreiben über junge Frauen, die gerade total beliebt sind, wo irgendwie komplexere Themen verhandelt werden, mit denen sich junge Frauen beschäftigen müssen. Und auch komplexe Frauen dargestellt werden. Also nicht in einer Eindimensionalität, die sich aber trotzdem unglaublich gut lesen lassen und dementsprechend auch, habe ich das Gefühl, ein breiteres Publikum anziehen. Also nicht in so einer Literaturbubble bleiben, sondern oft empfohlen werden wird. Also ich habe, ich kenne das oft in meinem Freundinnenkreis, wenn dann so Bücher verschenkt werden, dass das dann oft die Bücher sind, die verschenkt werden, weil sie irgendwie so ein bisschen gefällig sind, ohne dass das negativ ist. Hast du das Gefühl, da gibt es grade so eine Entwicklung, also in der Literaturbranche? Oder war das irgendwie auch bei dir so ein Gedanke, dass es ein zugängliches Buch sein soll?
Mascha Unterlehberg:
Auf jeden Fall, also nicht im Sinne von “Ich möchte eine breite Leserinnenschaft erreichen”, aber ich habe schon beim Schreiben den Anspruch, dass es nicht Menschen explizit ausschließt. Also meine Sprache schwankt ja zwischen sowas teilweise so ein bisschen überhöht vielleicht, manchmal sogar lyrisch und einem sehr direkten Tonfall in den Dialogen. Und diese Mündlichkeit war mir super wichtig, weil ich da schon eine realistische Ebene drin haben wollte, mich da auch ein bisschen orientiert hab daran, wie vielleicht ich wirklich mit meinen Freundinnen früher gesprochen habe, oder versucht, das zu erzeugen, dieses Gefühl, dass man sich irgendwie damit verbinden kann. Und dann habe ich ja trotzdem aber sehr viele popkulturelle Elemente aus den 2000er/2010ern und da habe ich schon auch immer wieder mich gefragt, ob das jetzt ausschließend ist für Menschen, die nicht in dieser Zeit aufgewachsen sind. Und hab versucht, die so einzusetzen, dass es vielleicht für Leute, die das kennen, irgendwie so ein Plus ist und man damit gehen kann. Aber dass man, wenn man die Geschichte liest, da nicht total rausgeworfen wird. Und für die Sprache gilt das Gleiche. Also ich möchte schon eine Geschichte schreiben, die theoretisch für alle Menschen zugänglich ist. Natürlich.
Frieda Ahrens:
Obwohl deine Art des Schreibens - ich musste ein wenig reinkommen, ich weiß noch innerhalb der ersten 20 Seiten, das hat sich dann total gelegt, habe ich mir irgendwann mal aufgeschrieben “kann ich der Protagonistin vertrauen in ihrer Erzählung?”. Also weil es ist nicht chronologisch erzählt, es wird oft gesprungen, man weiß nie richtig: Ist das jetzt vor diesem Event, nach diesem Event? Wie reiht es sich jetzt gerade in die Erzählung ein? Dann schreibst du ohne Anführungszeichen, dass manchmal nicht klar ist, ob das jetzt gesagt wird oder nur gedacht. Und das verunsichert. Ich war verunsichert: Was ist jetzt real und was ist jetzt nicht real? Warum hast du dich dafür entschieden?
Mascha Unterlehberg:
Also es wird ja aus der Perspektive von Jara erzählt und zwar in einem Moment, in dem sie unter Schock steht. Weil - das kann man erzählen, das passiert direkt am Anfang - Anto, ihre beste Freundin, ist gerade in die Ruhr gesprungen, in einen Fluss, und taucht nicht wieder auf. Und dem vorausgegangen ist eine wochenlange Entfremdung zwischen den beiden. Und Jara steht jetzt da oben und weiß zum einen nicht, ob Anto wieder auftaucht, ob ihr was Schlimmes passiert ist und zum anderen nicht, warum sie gesprungen ist. Und sie ist mit der Frage konfrontiert: Was hat sie damit zu tun? Hat sie vielleicht eine Mitschuld daran? Wollte Anto Aufmerksamkeit? Wollte sie sich wirklich verletzen? Und erschießen sie alle, alle Szenen dieser Freundschaft der letzten Wochen, aber dann auch der letzten Monate und Jahre so sehr wild und sehr assoziativ durch den Kopf. Das ist die Ausgangssituation und deswegen konnte das nicht einfach chronologisch so vor sich hin plätschernd erzählt werden, sondern musste so dieses Tempo haben, dieses Dringliche und auch dieses ein bisschen Chaotische, weil wir sehr nah an Jaras Empfinden und in ihrem Kopf eigentlich drin sind und mit ihr mitgehen. Und ich glaube, dass so Erinnerung auch einfach funktioniert. Das ist so assoziativ und sprunghaft einfach ist. Und ich finde die Frage absolut berechtigt, ob Jara eine zuverlässige Erzählerin ist oder nicht. Es gibt genug Andeutungen dafür, dass sie es vielleicht auch nicht ist. Und sie ist die einzige, die über diese Freundschaft erzählt. Wir wissen nicht, was Anto dazu sagen würde. Wir wissen nicht, ob Jara Anto gerecht wird, ob sie die Freundschaft überhöht, ob sie teilweise in schlechterem Licht dastehen lässt oder nicht. Und zuletzt zu den Anführungszeichen: Das habe ich ganz am Anfang entschieden, weil ich wollte, dass nicht immer klar ist, ob Jara gerade Dinge ausspricht oder ob sie sie nur denkt. Weil es eben so ganz nah an ihrem Beobachten die ganze Zeit ist. Und ich habe gemerkt, wenn ich Anführungszeichen benutze, dann wirft mich das beim Wiederlesen total raus und dann bekommt dieser Text irgendwie eine ganz andere, ein also viel langsameres Tempo. Und ich wollte dieses Schnelle und dieses zwischen Sprechen und Denken irgendwie unbedingt so so drin haben. Deswegen war das für mich sehr schnell klar, dass ich das so machen möchte.
Frieda Ahrens:
Ich fand es auch sehr passend, weil ich dadurch ja die Grenzen fließen. Also einmal die Grenze zwischen lesender Person und Protagonistin, weil man kennt diese Momente mit “habe ich das jetzt gerade gesagt oder wie es war gedacht”, also das ist dann ja gleich geschlossen, sozusagen in der lesenden Position. Und auch die Grenzen zerfließen zwischen Realität und Gedankenwelt. Also was passiert wirklich und was passiert nur in Jaras Kopf. Und irgendwie zerfließen die Grenzen ja auch in der Freundinnenschaft zwischen Wer bist du? Wer bin ich? und Was ist noch in Ordnung zu sagen und was ist irgendwie schon zu viel? Und diese Freundschaft, die sehr innig ist, ist ja auch sehr gewaltvoll. Du hast gerade schon gesagt, sie springt, weil sie sich verletzen, vielleicht auch. Es gibt auch einen Moment, wo Anto im Krankenhaus ist. Man weiß ja auch nicht wirklich. Hat sie sich mit Absicht irgendwie um Aufmerksamkeit zu kriegen, verletzt oder nicht? Also dieses Gewaltvolle und auch dieses “man erzählt sich dann doch nicht alles, man will Sachen für sich behalten und man lügt sich irgendwie an und ist dann fies zueinander”. Also es ist ja schon eine gewaltvolle Beziehung. Wolltest du das? Gewalt zwischen Frauen erzählen?
Mascha Unterlehberg:
Also für mich hat es eine Rolle gespielt, so eine Beziehung zu erzählen, die einfach extrem intensiv in jeder Hinsicht ist. Wo diese ganz große Nähe ist, auch diese ganz große körperliche Nähe und gleichzeitig dann so eine absolute Distanz und vielleicht auch Wut oder Eifersucht. Einfach diese ganzen Gefühle, die in so einer komplexen Beziehung irgendwie aufkommen können. Ich glaube, dass gerade in so jungen Freundschaften das oft sehr real ist, dass man einerseits das Gefühl hat, diese Person soll für immer im Leben bleiben und andererseits sich manchmal von dieser Nähe so fast erschlagen fühlt oder irgendwie bedroht in seiner eigenen Identität und sich so ein bisschen darin auflöst in dieser Beziehung. Also das wollte ich erzählen. Es ging mir nicht so sehr jetzt um Gewalt unter Frauen. Aber die beiden erleben ja irgendwie jeder auf ihre Art, auch in der Außenwelt irgendwie recht heftige Dinge, auch sexualisierte Gewalt, sexuelle Gewalt usw und haben da eine wahnsinnige Wut in sich. Und die kehrt sich eben teilweise nach außen, aber teilweise auch gegen sich selbst. Und das wollte ich schon auch mit erzählen, ja.
Frieda Ahrens:
Ich habe mich gefragt, wie sehr es eine Gewalterzählung ist, also eine bewusste Entscheidung dafür, oder wie sehr es auch: Wenn man ein, sagen wir mal als Coming of Age-Roman, also auf jeden Fall eine jugendliche Zeitspanne beschreibt und eine innige Beziehung zwischen zwei Frauen dargestellt, wie sehr das einfach unmöglich ist, das auszuklammern, dass man gewaltvoll miteinander ist. Weil ich kenne das aus meiner Jugend auch. Man man weiß noch nicht richtig, wer man ist. Man will sich irgendwie beweisen. Und in dieser Gesellschaft geht es viel, um von Männern beobachtet zu werden, dann aber auch da Scheiße zu finden, dann die ganze Zeit Gewalt von außen zu erleben, die ja nicht körperlich sein müssen, aber auch teilweise körperlich ist. Also es ist ja beides. Und dann geht es ja gar nicht anders, sozusagen als die Gewalt auch mit sich reinzunehmen und dann auch in so eine Innigkeit reinzunehmen.
Mascha Unterlehberg:
Genauso würde ich das auch sagen. Also ich glaube, ich habe das nicht irgendwie geplant, das zu machen, sondern ich habe diese Geschichte erzählt. Das ist einfach eingeflossen, weil es so zentral irgendwie für die beiden auch ist. Vor allem für Jara, die sich einfach wahnsinnig viel mit diesen ganzen Dingen, wie jemand springt irgendwo runter oder jemand verletzt sich oder so, beschäftigt. Und da sie fast so eine Obsession hat, aber ja, sie haben eben diese Gewalt in sich, die sie von außen permanent erleben oder sehen.
Frieda Ahrens:
Wie sehr spielt in dem Buch und in der Freundschaft Klasse eine Rolle? Weil man erfährt ja irgendwie Anto hat reiche Eltern oder auf jeden Fall ein großes Haus. Arbeitet dann aber auch, wie sich irgendwie davon lösen. Und Jara kommt aus einer Familie, die eher so guckt, wo man bleiben muss, aber die versucht alles möglich zu machen für diese junge Frau. Wie sehr spielt das da eine Rolle?
Mascha Unterlehberg:
Also ich wollte überhaupt keinen Klassenroman erzählen. Für mich war es eher so, dass ich dachte, Jara ist eine Person, die kommt nicht aus prekären Verhältnissen, der geht es schon okay. Die wächst bei ihrer Mutter auf. Die Mutter arbeitet, man weiß nicht genau was, aber es ist jetzt nicht so, dass sie irgendwie extreme Geldsorgen haben oder so. Und gleichzeitig ist es so, dass die meisten Jugendlichen, von denen Jara umgeben ist, einfach aus reicheren Elternhäusern kommen. Anto ganz vorneweg, aber dann eben auch später die Jugendlichen an ihrem Gymnasium, auf das sie dann wechselt. Und dass sie als Person, die sich permanent so von außen wahrnimmt, permanent mit anderen vergleicht, das sehr bewusst wahrnimmt und sich sehr stark anfängt, darüber zu definieren. Und das hat mich eigentlich interessiert, diese Selbstverständlichkeit für die anderen, einfach mit diesen ganzen Statussymbolen umzugehen und überhaupt keine Sorgen zu haben und theoretisch weich zu fallen. Also für Anto ist es eben viel weniger problematisch, nach der Realschule erst mal abzugehen und so ein bisschen der Eisdiele zu jobben und das aber auch schleifen zu lassen und dann auch nicht mehr hinzugehen als für Jara, wo es irgendwie schon so ist, dass die Mutter sich wahnsinnig freut, dass sie aufs Gymnasium geht. Also ich wollte überhaupt keinen Roman erzäglen, in dem der die Protagonistin in extrem prekären Verhältnissen lebt, sondern mich hat dieses die Frage interessiert “Was macht dieses Umfeld?” mit einer jugendlichen, auch einfach unsicheren Protagonistin.
Frieda Ahrens:
Meine eigentlich Schlussfrage wäre: Und was macht das Umfeld? Aber ich denke, dafür muss man das Buch lesen, um da irgendwie…
Mascha Unterlehberg:
Es geht dann eben so, dass sie anfängt, sich selber auch über diese ganzen Marken-Dinge so zu definieren, dass sie dann ja anfängt, angestiftet von Anto, zu klauen. Das für sie das Klauen dann einen größeren Stellenwert im Leben bekommt und dass sie dann versucht, Selbstbewusstsein zu generieren, über diese Statussymbole tatsächlich Handtaschen und Kleider usw.
Frieda Ahrens:
Also ich finde diesen Klauen-Aspekt auch immer spannend, weil Klauen, wenn man wirklich aus prekären Verhältnissen kommt, irgendwie ein Überlebensmechanismus ist und wenn man das nicht tut, ist es eher so ein Adrenalinkick, wo man dann auch weich fällt, weil selbst wenn man irgendwie erwischt wird und na ja, dann bezahlt mah halt.
Mascha Unterlehberg:
Und irgendwo dazwischen bewegen sich die beiden ja. Also für Anto ist es offensichtlich ein Adrenalinkick und das wird Jara erst klar, als ich zum ersten Mal bei ihr zu Hause ist. In ihrem riesigen Haus steht und merkt, dass sie das einfach nicht nötig hat. Und für Jara ist es schon ein bisschen mehr als das. Die Möglichkeit, einfach Dinge zu haben, die sie sonst nicht hätte.
Frieda Ahrens:
Ich habe jetzt schon ein paar Mal über die Mütter gesprochen, weil ich mich gefragt habe: Wenn man so zwei junge Frauen im Aufwachsen erlebt, wie sehr spielen die Mütter und was für Mütter sie haben, eine Rolle? Weil das ja im Grunde erstmal die erste weibliche Bezugsperson ist oder das Vorbild oder auch nicht - ein fehlendes Vorbild. Und weil Anto sich ja auch unglaublich gut mit Jaras Mutter versteht oder auf jeden Fall verstehen möchte. Welche Rolle spielen diese Mutterfiguren der jungen Frauen?
Mascha Unterlehberg:
Also für Anto ist das sicher ein Faktor für ihre Einsamkeit. Dass ihre Mutter eben einfach so sehr abwesend ist und ständig in der Welt umherreisen, die immer nur Geld da liegen lässt, irgendwelche Nannys engagiert für sie. Und ich glaube, das ist ein großer Aspekt, weswegen Anto sich auch zu Jara hingezogen fühlt, weil ich werde sehr oft gefragt, warum mag Anto denn Jara - also dass Jara Anto gut findet ist klar für viele aber anderes anscheinend nicht. Und ich glaube, ein Grund ist, dass Anto sich bei Jara so sehr gesehen und sehr geborgen und sehr wertgeschätzt fühlt und das von zu Hause nicht so kennt. Und das Anto einfach aus dieser familiären Situation heraus eine große Einsamkeit mit sich bringt und das hinter so einer rauen Fassade versteckt und deswegen natürlich auch begeistert ist von Mutter, die irgendwie herzlicher ist, die präsenter ist usw. Und für Jara würde ich sagen, ihre Mutter ist stabil und gibt ihr einen gewissen Halt und gleichzeitig ist Jara einfach auch mitten in der Pubertät und schafft es nicht mit ihrer Mutter über Dinge zu reden. Und hat deswegen auch ein schlechtes Gewissen, weil sie eigentlich ihre Mutter gern hat. Also wenn sie dann rausgeht, mit Anto um die Häuser zieht und irgendwie Mist baut, dann denkt sie schon: Ich darf Mama nicht enttäuschen. Aber das schiebt sie dann eben so weg und denkt sich naja, solange nichts Schlimmes passiert, ist schon alles okay. Also es gibt da schon bei ihr diesen inneren Kampf. Denn eigentlich will sie eine gute Tochter sein, weil sie ihre Mutter auch gern hat. Und andererseits will sie sich da irgendwie von lösen und eben nur dieses Universum eintauchen, wo sie nur mit ihrer Freundin existiert. Das würde ich sagen. Und tatsächlich war es aber am Anfang so, dass ich eigentlich vor allem diese beiden Hauptfiguren erzählen wollte und irgendwann gemerkt habe: okay, es braucht einfach auch logischerweise Nebenfiguren, es braucht auch einen familiären Background. Wenn ich Jugendliche erzähle und dann sind die Mütter dazugekommen. Also die sind so mit den Figuren gewachsen, die waren nicht von Anfang an da.
Frieda Ahrens:
Ich finde es total spannend, dass du sagst, Leute verstehen nicht, warum Anto mit Jara befreundet sein möchte. Weil das wieder so aufzeigt, was als interessant angesehen wird. Also auch von jungen Frauen, wenn man quasi ein bisschen rebellisch ist und stark und hart und dann ist man interessant. Aber wenn man unsicher ist … Und ich finde Jara gar nicht so krass unsicher. Also ich finde sie hat ja auch immer wieder Momente, wo sie sagt, hier ist eine Grenze und das finde ich eben blöd, was Anto macht oder auch sie so ein bisschen verflucht oder sagt halt, stopp, das will ich jetzt nicht mitmachen oder da will ich alleine hin. Also sie schafft es ja schon Grenzen ziehen. Sie lässt sich nicht nur unterbuttern. Ähm, also so unsicher ist sie gar nicht. Aber sie hat diese Unsicherheiten auf jeden Fall und diese Selbstzweifel ja in sich. Und das ist dann irgendwie langweilig. Das finde ich immer so absurd, weil man denkt, da sollten wir doch von wegkommen, dass das nicht eine Frau ist, die irgendwie erstrebenswert sein sollte oder so ein Frauenbild. Ist doch super, wenn man auch unsicher ist.
Mascha Unterlehberg:
Absolut, absolut. Aber es ist mir jetzt ein paar Mal in mir begegnet, diese Frage. Und im Bezug auf Anto: Die finden auch nicht alle nur sympathisch, aber da ist es glaube ich irgendwie klarer, dass sie so eine schillernde Persönlichkeit ist und diese Ausstrahlung hat und so sehr einnehmend ist und so, da wird das weniger hinterfragt. Das ist mir schon öfter begegnet.
Frieda Ahrens:
Vielleicht passt das ganz gut zu meiner nächsten Frage. Du warst ja jetzt auch auf Lesereise mit dem Buch, was zum Beispiel auch in Bremen und hast wahrscheinlich viel über das Buch gesprochen und viele Fragen gestellt bekommen. Hat sich dadurch deine Sicht auf die Geschichte noch mal verändert?
Mascha Unterlehberg:
Ja und nein. Also ich würde sagen, mir sind im Drüber-Sprechen Dinge klarer geworden plötzlich und ich finde das total verrückt, weil ich merke jetzt, dass ein Schreibprozess einfach für mich zumindest was extrem Intuitives ist. Also ich bin ganz schlecht im Plotten. Ich habe es versucht zu plotten und dann irgendwann wieder aufgebrochen usw. Aber ich schreibe eben sehr nah an den Gefühlen von den Protagonistinnen heran und erschreibe mir das über so was emotionales und wenn ich drüber spreche, werden mir plötzlich Dinge und Bezüge und so klarer. Und das finde ich ganz, ganz schön. Tatsächlich und auch durch Fragen von Personen, die es gelesen haben oder so. Ich kann jetzt gar nicht so ganz konkret irgendwie eine Sache sagen, aber ich habe das Gefühl, ich kriege jetzt einen Blick von oben auf diese Geschichte, den ich vorher nicht hatte.
Frieda Ahrens:
Was meinst du mit Plotten? Also für alle Leute, die nicht so im Literaturlingo drin sind.
Mascha Unterlehberg:
Also mit Plotten meine ich, dass man sich vorher hinsetzt und skizziert, wie die Geschichte aufgebaut ist. Also es gibt den Anfang, es gibt vielleicht ein Höhepunkt oder ein Wendepunkt und dann gibt es das Ende, das irgenwie dramatisch ist oder auch nicht. Dass man sich vorher so diese Hauptpunkte irgendwie skizziert und dann diese Geschichte schreibt. Und ich wusste ab irgendeinem Punkt schon ungefähr, was am Ende passiert, aber viele Schritte dazwischen waren mir sehr lange unklar und haben sich einfach beim Schreiben ergeben.
Frieda Ahrens:
Es ist super spannend, weil ich das Gefühl habe, deine Art zu schreiben passt ja sehr gut zu der Art, wie man das dann liest. Also weil man ja auch sehr bruchstückhaft erst mal nur die Geschichte checkt und auch das sehr direkt reinkriegt. Also sehr emotional. Durch diese, was wir schon besprochen hatten, durch diese fehlenden Anführungszeichen zum Beispiel wo man nicht weiß, aber das bringt einer dazu, sehr nah an der Person zu sein. An Jara und sehr nah an den Emotionen zu sein. Ich habe das Gefühl, das bringt einen dazu, sehr nah an so Zweifeln zu sein, an Wut zu sein, an Unverständnis zu sein. Also auch an diesem “ich verstehn XY nicht. Ich verstehe die Welt nicht.” Man fühlt es direkt sehr mit. Und das ist ganz spannend, dass du sagst, dass du so auch an den Schreibprozess reingegangen bist mit Man hatte diese Geschichte gar nicht direkt, wie auch die Lesen in die Geschichte gar nicht direkt haben und dann ist es sehr emotional, wie es auch für die Lesenden dann ist.
Mascha Unterlehberg:
Das ist schön, wenn das dann auch am Ende so rauskommt. Ja, auf jeden Fall. Ja, schon. Ich habe schon einfach geschaut, welche Emotionen oder welche Aspekte von dieser Beziehung zwischen den beiden interessieren mich noch? Oder was gehört noch zu diesem ganzen Bild von so einer Freundinnenschaft eigentlich dazu? Und dann habe ich danach erst Szenen geschrieben, und bin dann sehr tief in diese Gefühle und so reingegangen.
Frieda Ahrens:
Wenn wir es schon übers Schreiben reden, es ist ja dann Debütroman. Hast du denn schon weitere Projekte geplant? Vielleicht auch so als letzte Frage, so in die Zukunft blickend?
Mascha Unterlehberg:
Ja, ich schreibe gerade an etwas Neuem. Ich habe dann jetzt bald auch ein Stipendium beim LCB in Berlin, wo ich vier Wochen Zeit dafür habe im Juli und hoffe, dann ein bisschen tiefer einsteigen zu können. Jetzt gerade bin ich einfach viel auf Lesungen, was total schön ist und bin auch dann so sehr in diesem Buch drin und nahe an dieser Geschichte dran. Aber ich mache gerade fast jeden Tag Notizen und habe schon so ein paar neue Szenen geschrieben und es gibt so eine Art von Figuren. Aber genau, es ist noch alles ein bisschen vage und ich hoffe, dass es sich diesen Sommer festigt.
Frieda Ahrens:
Sehr schön. Vielen Dank für das Gespräch!
Mascha Unterlehberg:
Danke dir.
Frieda Ahrens:
Und natürlich auch allen Hörer:innen. Vielen Dank für euer Interesse und eure Zeit und fürs Zuhören. Auf Wiederhören.
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Der Text wurde KI-gestützt transkribiert.