Der Philosoph Jan Völker interessiert sich für die Weltraumfahrt. Sein Buch Ein Weltall des Kapitals. Die Überwindung der terrestrischen Vernunft diskutiert Weltraumtourismus, Asteroidenbergbau, Kolonien im All und eine Renaissance der Raumfahrt. Diese wird jedoch nicht mehr von der Nasa, sondern von SpaceX und anderen privaten Interessen getrieben. Mit Jonas Dahm spricht Völker darüber, was mit uns und unserer Vernunft passiert, wenn wir die Erde verlassen und uns in dieses neue Weltall des Kapitals aufmachen.
Zum Nachlesen
Jonas Dahm:
Herzlich willkommen zu dieser neuen Folge des Literaturhaus-Podcast. Mein Name ist Jonas Dahm und ich spreche heute mit dem Autor und Philosoph Jan Völker. Sein neues Buch heißt Ein Weltall des Kapitals. Die Überwindung der terrestrischen Vernunft. Darin geht es um die Renaissance der Raumfahrt als privatwirtschaftliches Projekt, um Weltraumtourismus, Asteroidenbergbau und Kolonien im All. Vor allem ist das Buch aber ein philosophischer Versuch darüber, was mit uns und mit unserer Vernunft passiert, wenn wir die Erde verlassen und uns in ein Weltall des Kapitals aufmachen. Herzlich willkommen, Jan Völker.
Jan Völker:
Ja, hallo. Vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich.
Jonas Dahm:
Ich habe ja gerade gesagt, dass wir die Erde verlassen. Dir geht es aber eigentlich genau darum, dass in der privaten Raumfahrt es nicht mehr wir als Menschheit, als Allgemeinheit sind, die sich hier aufmachen. Was ändert sich denn, seit SpaceX und andere die NASA ablösen?
Jan Völker:
Meine grundsätzliche Überlegung oder Intuition war, dass sich tatsächlich etwas im Blick der Menschen auf die Erde ändert. Das hat natürlich damit zu tun, was du gerade angesprochen hast: Dass es nicht die gesamte Menschheit ist, die sich da momentan anschickt, die Erde zu verlassen, sondern ein Teil. Ich glaube, genau diese Verschiebung ist eine wesentliche Änderung. Es gibt die Privatisierung der Raumfahrt und diese führt dazu, dass nicht mehr repräsentative, von Staaten geführte Raumfahrtagenturen die Erde umkreisen und sie beobachten – sie kontrollieren, sie aber auch erforschen und Kenntnisse im allgemeinsten Sinne über die Erde gewinnen, mit der theoretisch zumindest für die Menschheit gearbeitet werden kann – sondern, dass sich etwas ganz anderes vollzieht: Nämlich, dass ein kleiner Teil, der in keinem repräsentativen Verhältnis zur Menschheit steht, nun aufbricht, das Weltall zu erkunden. Für andere Zwecke muss man natürlich sagen, ja.
Jonas Dahm:
Um dich diesem Thema zu nähern, gehst du auf Kant und du hast ja auch über die Ästhetik der Lebendigkeit in Kants Kritik der Urteilskraft promoviert. Trotzdem die Frage: Warum brauchen wir denn jetzt Kant – der ist ja schon ein bisschen älter – um die Raumfahrt von heute zu verstehen?
Jan Völker:
Es gibt natürlich mehrere Gründe. Aber ich glaube, dass Kant ein ganz grundlegendes Verständnis von dem, was wir Vernunft oder auch Verstand nennen, geschaffen hat, von dem wir zunächst mal sagen können, dass es so etwas wie unser Arbeitsbegriff von Vernunft ist, mit dem wir heute umgehen. Das Interessante ist: Wenn man da hineinguckt, in die Entwicklungsmomente eben dieses Vernunftbegriffes bei Kant, dann sieht man, dass das doch sehr stark an die Frage der Erde gekoppelt ist. An die Frage der menschlichen Vernunft, denn es ist eine menschliche Vernunft, die Kant entwirft. Diese menschliche Vernunft ist gebunden an den Erdkörper. Die Ausgangsfrage war eigentlich: Was passiert mit dieser Vernunft, wenn es nun tatsächlich denkbar und möglich ist, die Erde zu verlassen.
Jonas Dahm:
Kant hatte auch selber schon Vorstellungen von Außerirdischen. Kannst du die einmal beschreiben und dann sagen, warum Kants terrestrische Vernunft nicht mehr trägt, sobald wir die Erde verlassen?
Jan Völker:
In der Philosophie wird zwischen dem vorkritischen Kant und dem kritischen Kant unterschieden. Der kritische Kant hat eine Wende vollzogen, die dann zu drei großen Kritiken führt – und es gibt den vorkritischen Kant, da funktioniert das noch ein bisschen anders. Der ist stärker eingebunden in das, was man die Metaphysik nennt und hat die Vernunft noch nicht auf den irdischen Zusammenhang beschränkt. Das sage ich deswegen, weil der vorkritische Kant noch relativ problemlos, um es mal so zu nennen, an Außerirdische im strengen Sinne glauben kann. Also, er ist davon überzeugt, dass auf anderen Planeten Lebewesen leben und hat auch bestimmte Kalkulationen angestellt – anders kann man das eigentlich gar nicht nennen – über deren Intelligenz und deren Lebensdauer. Er kommt dann zu für uns heute sicherlich bunt wirkenden Schlüssen über Lebewesen auf anderen Planeten, die mit weniger Sonneneinwirkung, aber intensiverer Umsetzung dieser Sonneneinwirkung intelligenter sind als wir. Das ist etwas, was der kritische Kant sich selber nicht mehr durchgehen lassen kann, weil das dann eben doch zu sehr Spekulation ist. Das heißt, die kritische Wende führt dazu, dass man jetzt eigentlich sagen müsste: In einem kantischen Verständnis kannst du eigentlich gar nichts sagen über Lebewesen auf anderen Planeten, weil du nichts weißt – und wovon du nichts weißt, darüber kannst du auch nicht spekulieren. Dennoch merkt man eben, dass auch der späte Kant immer noch so eine Art von Unwohlsein mit der Möglichkeit verknüpft, dass es im Weltall noch Lebewesen geben könnte, die vielleicht sogar schlauer sind als die Menschen. Das ist eine unangenehme Frage für jemanden, der eine Theorie der Vernunft entwirft, die letztlich eine wunderbare und auch großartige Schöpfung der Menschheit zu sein glaubt. Das heißt, da bleibt ein Punkt der Beunruhigung und der ist natürlich auch in latenter Konkurrenz zu der Frage um Gott. Wobei man natürlich zunächst sagen würde: Ja, es gibt vielleicht eine andere Intelligenz namens Gott, aber für Kant ist das nochmal was anderes. Es gibt die Frage nach Gott, aber es gibt eben auch die Frage nach anderen Lebewesen, die ihn immer so ein bisschen antreibt, als ein latenter Zweifel. Man merkt, dass dieser Zweifel sich einträgt oder eingräbt in sein Verständnis der Welt, weil er dann doch auch auf die Idee kommt, es könnte ja nicht nur sein, dass es eine andere Vernunft gibt im Weltall, die uns infrage stellt, sondern es könnte ja auch sein, dass in unserer Vernunft selber etwas anderes herumkriecht, herumspukt oder sich aufwirft oder unsere Vernunft von innen heraus infrage stellt. Es gibt hier es so ein Beunruhigungsfeld, dass um das Thema einer anderen Vernunft kreist und das Kant eigentlich die ganze Zeit in Bewegung hält.
Jonas Dahm:
Und deine Idee ist jetzt, da die Raumfahrt wirklich real wird, die Bilder real werden, auch von außen, vom Außen auf die Erde und die ganzen Bilder, die mit der Entwicklung der Raumschiffe, der Kolonisierung des Weltalls einhergehen – dass sich das jetzt einlöst, diese Beunruhigung wird also real. Was passiert denn da genau?
Jan Völker:
Ja, so könnte man es sagen. Der erste Punkt wäre jetzt zu sagen, dass unser grundlegender Begriff von Vernunft eben in gewisser Weise an die Erde gekoppelt ist – nämlich über Kant an die Frage der Erfahrung. Das ist ja das grundsätzliche Moment dieser kritischen Wende, zu sagen, Vernunft muss in ihrer Konstruktion auf dem basieren, was wir wirklich erfahren können. Kant ist ja kein Empiriker, es geht jetzt nicht darum zu sagen, wir müssen genaue Daten haben und nur daraus kann der Begriff der Vernunft geschöpft werden – aber nichtsdestotrotz muss der Begriff der Vernunft an das gebunden sein, was tatsächlich für uns – möglicherweise – erfahrbar ist. Das ist die Idee – und das führt zu einer Bindung an den Erdkörper, solange man eben nicht faktisch im Weltall herumreist. Das ist etwas, was zunächst einmal aus diesem Möglichkeitsrahmen ausgeschlossen ist – und es gibt dieses Moment der Beunruhigung in der fortschreitenden Entwicklung der Wissenschaft, die dann wirklich dahin führt. Also – in der Wende im 19., dann 20. Jahrhundert – zu einer bestimmten wissenschaftlichen Möglichkeit von Raumfahrt und Erkundung und Beobachtung. In all diesen Prozessen ist auffällig, dass diese Beobachtungen und all diese Schritte mit der Frage einer Veränderung dieser Vernunft, einer Veränderung der Struktur dieser Vernunft einhergehen. Etwas Nichtmenschliches – dass es vielleicht auch etwas produziert, was für uns nicht mehr wahrnehmbar oder verständlich ist. Ein Beispiel: Hannah Arendt hat das so diskutiert, dass sie sagte, na ja, in dem Moment, wo der Mensch den Raum außerhalb der Erde wissenschaftlich wahrnimmt und beobachtet, beschreibt und Erkenntnisse gewinnt, produziert er Erkenntnisse – und da kommt jetzt der Bruch – produziert er Erkenntnisse, die er vielleicht selber nicht mehr verarbeiten kann. Und das ist natürlich eigentlich interessant, wenn man auf der einen Seite sagt, die menschliche Vernunft geht eben mit den Dingen um, die sie theoretisch möglicherweise erfahren und verarbeiten kann – was passiert in dem Moment, wo man etwas hervorbringt, dass diese Vernunft dann selber nicht mehr versteht? Da wird, glaube ich, die Verbindung deutlich. Das können wir relativ schnell verknüpfen mit Grundfragen künstlicher Intelligenz, die wir uns beispielsweise jetzt die ganze Zeit stellen. Es sind diese Prozesse, wir bringen etwas hervor aus den Möglichkeiten unserer Vernunft, das zu etwas führt, von dem wir uns fragen müssen, ob wir das überhaupt noch verstehen. Und das heißt, die Vernunft überschreitet sich selbst, sie verlässt sich selbst, sie verlässt ihren eigenen Möglichkeitsraum. Und das ist die Frage: Was passiert in dem Moment, wo wir mit den Möglichkeiten unserer Vernunft den Raum unserer Vernunft verlassen.
Jonas Dahm:
An der Stelle hatte ich mich gefragt, was ist das Spezifische an der Weltraumfahrt? Quantenphysik zum Beispiel – das übersteigt zumindest meine Vernunft und ich glaube, selbst bei Leuten, die wirklich praktisch mit Quantenphysik umgehen, übersteigt es doch deren menschliche Vernunft um ein Vielfaches. Wir können uns ja keine Bilder davon machen, was etwa Quantum Entanglement konkret bedeutet. Was ist jetzt das Besondere an der Weltraumfahrt und an der privatisierten Weltraumfahrt, dass du das zu dem Thema gemacht hast? Warum nicht die Quantenphysik oder andere wissenschaftliche, ja auch schwer vernunftbegreifbare Vorgänge?
Jan Völker:
Ja, das ist richtig. Ich würde da auch vollkommen zustimmen. Diese Prozesse gehören vielleicht in einem größeren Rahmen sogar zusammen oder man könnte sie zusammenhängend und gemeinsam infrage stellen und diskutieren. Die Raumfahrt habe ich jetzt in den Vordergrund gestellt, um einen bestimmten Prozess herauszugreifen, an dem sich noch etwas anderes anhängt. Also zum einen würde ich sagen, dieser Prozess des Erkundens Der Erkundung des Weltraums hängt mit anderen vernunftüberschreitenden Möglichkeiten, Prozessen, Veränderungen zusammen – also so wie du gerade angedeutet hast, beispielsweise in Bezug auf die Quantenphysik. Aber was sich einträgt, in die Frage der Raumfahrt, ist eben das Projekt des Zurücklassens der Erde. Und dieser interessante Wechsel, der da nicht nur sinnbildlich, sondern eben wirklich deutlich wird. Nämlich das Projekt, etwas zu entwickeln, etwas zu erforschen, was nicht mehr dazu dient, die Erde in ihrer Integrität und Gesamtheit als System oder auch als System zu erforschen und zu schützen und auch zu wahren, sondern, dass nun tatsächlich ein Perspektivenwechsel eintritt. Also hinter der privatisierten Raumfahrt steht die Erde nicht mehr als solche im Fokus der Beobachtung, sondern es geht jetzt darum, andere Heimstätten für den Menschen zu finden, andere Möglichkeiten, Kapital zu generieren, andere Orte, um neue Entwicklungen voranzutreiben, die neues Kapital, neue Wohnstätten, neue Arbeitsmöglichkeiten etc. mit sich bringen. Das heißt, es findet ein richtiger Perspektivenwechsel statt. Die neue Raumfahrt schaut von der Erde weg und das führt wiederum im Umkehrschluss dazu, dass innerhalb dieser Idee – und das ist quasi die nächste spekulative Überlegung – dass innerhalb dieser Idee die Erde eigentlich so verstanden wird, dass sie zurückbleibt. Sie wird sich überlassen. Man kann sie im Zuge der Klimakatastrophe sich selbst überlassen. Sie wird nicht mehr beobachtet, kontrolliert, sie wird der Wissenschaft entzogen.
Jonas Dahm:
Was daraus erfolgt, ist eigentlich eher eine Kritik der Ökonomisierung als eine der objektivierenden Wissenschaft. Es gibt ja bei Bruno Latour zum Beispiel die Kritik, wenn ich jetzt das Blue Marble Foto, also dieses Bild von außen auf die Erde nehme – dass sich damit die Illusion vermittelt, wir könnten einen beherrschbaren Planeten haben. Das ist jetzt eigentlich nicht mehr deine Kritik, sondern du sagst, der Blick geht jetzt eigentlich nach außen in das Weltall, weg von der Erde.
Jan Völker:
Ja, das stimmt. Das wäre tatsächlich nicht mehr meine Kritik. Ich meine, man kann natürlich und muss auf objektivierende Maßnahmen oder objektivierende Technologien einen kritischen Blick werfen. Also in diesem Bild, in diesem Blue Marble Foto steckt natürlich eine Geste der Objektivierung. Und damit steckt natürlich auch da drin die Idee oder die Illusion, ein beherrschbares Objekt vor sich zu haben. Das ist vollkommen richtig. Aber ich glaube, momentan wird das Problem im Grunde abgelöst von einer anderen Schwierigkeit, nämlich dass die Wissenschaft sich nicht mehr richtet auf die Erde als solche, sondern nun etwas anderes in den Blick nimmt. Und wenn wir das in den Zusammenhang bringen mit uns bevorstehenden beziehungsweise uns aktuell beschäftigenden katastrophalen Szenarien wie der Klimakrise, dann hat das ganz reale Konsequenzen.
Jonas Dahm:
Du schreibst ja auch, dass die Privatisierung der Raumfahrt uns noch mehr auf der sterbenden Erde zurücklässt, als die frühere Raumfahrt es getan hat. Da drängt sich ja die Frage auf – dann würdest du schon sagen, die NASA hätte uns schon noch mehr mitgenommen als SpaceX.
Jan Völker:
Ja, das klingt komisch, ich weiß. Das klingt in gewisser Weise vielleicht überraschend, aber ich glaube, das muss man tatsächlich sagen. Weil man sich, glaube ich, den Unterschied klarmachen muss, dass Raumfahrtagenturen wie die NASA immer noch in einem symbolischen Zusammenhang stehen – ich hätte schon beinahe gesagt, gestanden haben, aber ja immer noch stehen – der etwas zu tun hat mit der Frage klassischer politischer Regierungen, mit der Frage des Widerstreits zwischen zwei großen Konfliktparteien. Die ganze Geschichte steckt dahinter. Es gibt eine politisch-symbolische Struktur, innerhalb derer diese Raumfahrtagenturen funktionieren. Sie sind nicht einfach privat für private Interessen, sondern sie vertreten ein repräsentatives Verständnis der Erde und ein repräsentatives Verständnis der Menschen. Da gibt es viel, politisch, was man da jetzt diskutieren muss und könnte und einwenden kann. Aber ich glaube, diesen ganz grundlegenden Unterschied, dass die privatisierte Raumfahrt eine depolitisierte Raumfahrt ist, eine Raumfahrt, die sich unserem politischen Zugriff entwendet, Und damit sich davon abkoppelt. Das ist, glaube ich, eine Sache, die man nicht aus dem Blick verlieren sollte bei aller Kritik, die man an Projekten der NASA etc. haben kann und sicherlich auch muss.
Jonas Dahm:
Was sich im Weltall des Kapitals auch verliert, ist das Unbewusste – also das, was uns als Individuum strukturiert. Hier kommst du von Jacques Lacan, dem Psychoanalytiker. Kannst du diesen Verlust einmal beschreiben? Warum verlieren wir jetzt nicht nur unsere Vernunft, sondern auch noch unser Unbewusstes, wenn wir uns privatwirtschaftlich in den Weltraum aufmachen?
Jan Völker:
Ja, ich würde fast nochmal ganz kurz einen Schritt zurückgehen. Im Grunde versuche ich zu zeigen, dass das schon in der Anlage des Kantschen Begriffes der Vernunft ein Platz für den Begriff des Unbewussten aufgestellt ist. Und zwar deswegen, weil Kant in seiner Verknüpfung der Vernunft mit der Erde und auch mit dem konkreten Individuum, mit dem konkreten Akt des Sprechens beispielsweise, den Platz einräumt, dass man sich dort beispielsweise verspricht. Wenn man jetzt das Versprechen als Ausdruck des Unbewussten im klassischen freudschen Sinne nimmt, dann kann man sagen, dass im Grunde bei Kant diese Idee des Unbewussten schon vorbereitet ist. Die wird dann später aufgegriffen, verwirklicht, natürlich von Sigmund Freud zunächst – und von Jacques Lacan, also dem französischen Psychoanalytiker, dann weiterentwickelt. Lacan ist jetzt für meinen Zusammenhang zunächst einmal bedeutender, weil Lacan einfach dann die ersten Satellitenumkreisungen um die Erde selber beobachten konnte und reflektieren konnte und auch erste Bemerkungen zu bestimmten technischen Gegebenheiten seiner Zeit machen konnte, die dann sehr weit auch in diese Frage hineinreichen. Die Frage, die sich für Lacan zeigt, ist zunächst einmal die eine, die gekoppelt ist im Grunde an diese Umkreisung der Erde durch Yuri Gagarin. Das ist die Frage des Auftretens von Astronauten im Weltall. Was da in so einer breiteren Diskussion – das ist nicht nur Lacan, sondern auch andere Leute wie Blanchot beispielsweise – was da zunächst einmal diskutiert wird, ist die sprachliche Verknüpfung. Diese Astronauten funken ja bestimmte Signale zurück. Das heißt, man hört sie, es gibt natürlich Kommandos, die hingeschickt werden und es gibt Rückmeldungen der Astronauten zurück an die Erde. Die Frage ist, was drückt sich da aus? Wie weit bindet die Sprache diese Astronauten ein? Jetzt könnte man sagen und das wäre so eine Lacan'sche Perspektive: Solange diese Erkundungen eigentlich noch im symbolischen Rahmen der Sprache organisiert sind, solange gibt es auch Prozesse des Unbewussten. Allerdings, und das ist eben die Frage, die, glaube ich, dann auch von heute aus nochmal an Lacan zurückgeschickt werden müsste, ist: Was geschieht eigentlich in dem Moment, in dem diese sprachlichen Prozesse entkoppelt werden? In dem wir also im Weltall die Herstellung eines Raumes erleben, in dem eigentlich das, was ich denke beispielsweise, direkt mit meinem eigenen Tun zusammengelegt wird. Wo dieser Unterschied zwischen ich habe eine Vorstellung, ich möchte etwas, ich überlege etwas und dann sage ich etwas oder tue etwas – und dazwischen ist ja ein Vorstellungsraum, der eben die Spuren des Unbewussten trägt beziehungsweise den Raum des Unbewussten eröffnet – wenn dieser Raum geschlossen wird. Wo passiert das? Das passiert natürlich tatsächlich genau in jenen Prozessen, die beispielsweise die technische Herstellung eines Bildes betreffen, so wie wir es auch im Rahmen der künstlichen Intelligenz erleben. Da gibt es sehr viele Prozesse, die genau darauf gehen, eigentlich diesen Zwischenraum zwischen Denken und Handeln möglichst zu verkleinern, beziehungsweise sogar auszuschalten. Und vor dem Hintergrund ist dann die sicherlich hochspekulative, aber eben auch als Frage oder als Überlegungs-Aufforderung gemeinte These, dass es sein könnte, dass die Neuerkundung des Weltraums darauf zielt, jenen großen Unsicherheitsfaktor, der all unsere Prozesse, also unsere menschlichen Prozesse des Denkens und Handelns begleitet, nämlich die Frage des Unbewussten, zurückzulassen. Dass die Erde zu einem Körper wird, der durchzogen ist von dem Unbewussten einerseits, der aber andererseits eben verbraucht ist, also ausgebeutet, zu Ende ausgebeutet und zurückgelassen werden kann zugunsten einer Zukunft, in der diese Störeffekte des Unbewussten aus einer technologisch gereinigten Zukunft ausgeblendet werden.
Jonas Dahm:
Auch hier stellt sich mir die Frage… Es gibt bei Žižek – also Slavoj Žižek, der sich auch auf Lacan bezieht – die Spekulation: Wenn ich jetzt mein Bewusstsein hochladen könnte, mich direkt verbinden könnte mit der Maschine, dann fällt eben auch genau diese Lücke, die ich brauche, damit mir überhaupt das Unbewusste strukturiert, weil sie mir etwas Unbewusstes lässt, die fällt dann weg. Da stellt sich mir dann eben auch die Frage, warum ist das ein spezifischer Prozess, der im Weltraum passiert? Also ich kann mich ja auch hier auf der Erde an einen Computer anschließen und wir scheinen ja auch in einer kulturellen Entwicklung zu sein, die das jetzt nicht mehr ausschließt.
Jan Völker:
Ja, das stimmt. Also zwei Sachen. Ich glaube, aus meiner Perspektive und was glaube ich, nur ein Anfang auch sein kann für dieses Problem, ist, dass ich sagen würde, da fallen zwei Prozesse interessanterweise zusammen. Es gibt auf der einen Seite den realen physischen Auszug mittels Raketen und Raumstationen und der Überlegung der Ausbeutung von Asteroiden etc., der Konstruktion von Tankstellen im All, also eine ganz reale Bewegung. – und auf der anderen Seite gibt es die Bewegung, die du jetzt beschrieben hast, Ich würde es eher so drehen, dass es, wenn die erste Bewegung, also der Auszug in das Weltall so etwas bedeutet wie das Zurücklassen, das Unsichtbarmachen von Erde oder von Welt, dass die andere Bewegung bereits hier stattfindet, also dass ich meinen intellektuellen oder gedanklichen Inhalt auch hier auf eine Festplatte hochladen kann – also, wenn es denn dann möglich ist, dann könnte ich es auch hier tun – dass das im Grunde diese Bewegung, diese selbe Bewegung auf der Erde installiert. Also das heißt, wir haben es mit einer Bewegung zu tun, die insgesamt so etwas wie Welt zurücklässt. Und das kann ein realer physischer Auszug ins Weltall sein, aber das kann eben vielleicht auch eine Bewegung direkt bei uns sein.
Jonas Dahm:
Bevor wir zum Ende kommen, würde ich gerne noch einmal rauszoomen und einmal fragen: Gute Science-Fiction, die spekuliert an den Grenzen des Bekannten. Was macht denn eigentlich die Philosophie? Macht die da was anderes, holt sie das Weltall und die Aliens in ihre Denksysteme oder kann sie da mehr?
Jan Völker:
Also Science Fiction hat ja diesen interessanten Vorteil, dass es sich zusammensetzt aus diesen beiden Bestandteilen von Science und Fiction, Wissenschaft und Fiktion. Das ist in diesem Literaturgenre zusammengefasst. Jetzt könnte man sagen, vor dem Aspekt würde ich fast behaupten, ist Philosophie tatsächlich etwas Ähnliches. Weil sie natürlich wissenschaftlich argumentiert, aber gleichzeitig mittels der Kraft der Spekulation etwas hervorbringt, was immer auf etwas anderes hinweist. Also Lücken in der Wissenschaft beispielsweise aufzeigt, beziehungsweise auch das sogenannte Unmögliche aufspießt, um es uns zu zeigen, beziehungsweise Perspektiven zu ändern. In dem Sinne gibt es da, glaube ich, viele Berührungen, was diese Perspektiven angeht. Wenn man jetzt fragt, was macht die Philosophie im Unterschied davon ist die Philosophie natürlich in ihrer Aufgabe ethisch gebunden. Sie hat natürlich eine Verantwortung und sie muss dieser Verantwortung gerecht werden und kann in dem Sinne nicht immer so frei vorgehen, wie es vielleicht Science Fiction kann.
Jonas Dahm:
Hättest du dein Buch auch als Sci-Fi-Roman schreiben können?
Jan Völker:
Ich glaube nicht, dass ich das könnte. Nein, ich hätte es so nicht schreiben können, weil es... Das ist eine interessante Frage. Warum eigentlich nicht? Vielleicht hätte man es auch so schreiben können. Nein, ich glaube, ich hätte es nicht so schreiben können, weil es dann tatsächlich darauf zurückkommt, dass das philosophische Projekt immer in einem gewissen Sinne einer bestimmten Bindung unterliegt: An bestimmte Prozesse, die es gegeben hat, die es gibt. Beispielsweise an die Frage, wie können wir uns heute, wie können wir uns damit auseinandersetzen, was bestimmte Prozesse des Kapitals angeht. Da gibt es eine letztlich doch ethische Verpflichtung der Philosophie, die sie bindet an konkrete Prozesse. Und ich glaube, diese Bindung, die besteht nicht in gleicher Weise in der Literatur.
Jonas Dahm:
Wenn die terrestrische Vernunft im Weltall an ihr Ende kommt, was, in einem positiven Sinne, könnte für dich danach kommen? Hast du einen Begriff einer utopischen Vernunft, einer Vernunft für das Weltall?
Jan Völker:
Ja, aus der Perspektive des Buches wäre zunächst einmal der Punkt, dass wir ein Verständnis dafür entwickeln, was passiert, wenn in einem umfassenden und radikalen Sinn das, was wir Vernunft nennen, einer Privatisierungsbewegung unterliegt. Was das bedeutet – was das für uns bedeutet, was das mit der Erde macht, was das mit der Welt macht, was das mit unserem Verständnis von Gemeinschaft oder Politik macht. All diese Prozesse – und ich glaube also, das ist ja ein allgemeines und auch in weiteren Zusammenhängen sehr bedeutsames Thema, nämlich die Frage der Privatisierung von Öffentlichkeit von öffentlichem Raum – ich glaube tatsächlich, dass wir die radikalen Konsequenzen, die das eigentlich bedeutet und bedeuten kann, noch nicht begriffen haben. Das ist entscheidend. Das heißt, zunächst einmal wäre der Moment aus dem Buch heraus, dass es gilt, sich darüber klar zu werden, das zu verstehen. Aber die Frage ist natürlich trotzdem eine, die ich auch mehrmals gestellt bekommen habe und die in gewisser Weise ein Desiderat ist – nämlich die Frage danach, wie wir einen anderen Begriff von Vernunft organisieren, verstehen können, der eine andere Perspektive entwerfen würde. Eine nicht vorhandene, jetzt nicht vorhandene, jetzt vielleicht als unmöglich geltende, aber vielleicht gerade umso mehr anzustrebende Version oder eine Fassung oder ein Verständnis von Vernunft, an der wir vielleicht dann auch, im pathetischen Sinne, als Menschheit arbeiten können müssten. Das ist ein Desiderat. Ich glaube, das ist eine der ganz entscheidenden Aufgaben, der wir uns momentan zu stellen haben. Das brauchen wir ganz dringend. Ich habe da auch keine Lösung im Moment, aber ich glaube, dass es wichtig ist, diese offenzuhalten, daran zu arbeiten und dahin zu kommen.
Jonas Dahm:
Dein neues Buch heißt Ein Weltall des Kapitals. Die Überwindung der terrestrischen Vernunft. Jan Völker, vielen Dank für dieses schöne Gespräch.
Jan Völker:
Ich bedanke mich ganz herzlich.
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Der Text wurde KI-gestützt transkribiert.