#112 Emilia Roig: "Die Liebe ist um uns herum." [27:38]

30. April 2025

Emilia Roig
© Michelle Maicher

Emilia Roig hat einen höchst persönlichen Essay über zeitgemäße Formen des Liebens geschrieben. Im Gespräch mit Vanessa Guinan-Bank plädiert sie dafür, dass wir menschliche Beziehungen und Formen der Liebe nicht mehr hierarchisieren sollten. Und sie erzählt warum wir das volle Spektrum der Liebe in Anspruch nehmen sollten: Von freundschaftlicher, romantischer und familiärer Liebe bis hin zur Liebe für Natur, Tier und Kosmos.

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Vanessa Guinan-Bank
Heute mit Vanessa Guinan-Bank. Und ich spreche in dieser Folge mit Emilia Roig über ihren kleinen Essay-Band „Lieben“. Emilia Roig ist Bestseller-Autorin und promovierte Politologin. Sie beschäftigt sich besonders mit Themen wie Intersektionalität, Rassismus und Feminismus, also Themen, bei denen es um soziale Ungleichheiten und Gerechtigkeit geht. Das ist auch in diesem neuesten Essay-Band der Fall, in dem es um zeitgemäße Formen des Liebens geht.
Hallo Emilia, schön, dass wir miteinander sprechen. 

Emilia Roig
Hallo, ich freue mich hier zu sein.

Vanessa Guinan-Bank
Emilia, dein Essay-band heißt „Lieben“ und du schreibst dass du überzeugt bist, dass viele der Probleme unserer Zeit, Symptom eines beschränkten verarmten Verständnisses von Liebe sind. Was meinst du damit?

Emilia Roig
Ich meine, dass wir uns abgeschnitten haben von der allgegenwärtigen Energie der Liebe sozusagen und wir das einschränken oder beschränken auf die romantische Liebe. Nämlich, es gibt eine Hierarchisierung nicht nur unter den menschlichen Beziehungen, sondern auch von dem, was eigentlich Liebe ist.
Und wir sehen Liebe als ein Gefühl, als ein Commitment, Liebe als eine Erzählung, eine Geschichte, aber wir sehen uns nicht als Vektoren der Liebe sozusagen. Wir sehen nicht, dass die Liebe überall zu finden ist. Und deshalb sind viele – also ich würde das auch erweitern an die großen gesellschaftlichen Krisen, also an der Metakrise, die wir jetzt grade erfahren. Nämlich, die Umweltkrise ist auch nichts anderes als mangelnde Liebe. Mangelnde Liebe für uns selbst, also für unsere Spezies, für andere Spezies, für unser Umfeld, für das was wir als Natur benennen. Und auch Gier und Profitmaximierung und alle Beiprodukte sozusagen der kapitalistischen Wirtschaft sind meiner Meinung nach auch ein Ausdruck der mangelnden Liebe, dass wir uns wenig connected fühlen.
Wir fühlen uns wenig verbunden miteinander, mit uns selbst und eben mit dem gesamten Kosmos.

Vanessa Guinan-Bank
Also Liebe wird auf so eine Art privates Projekt beschränkt, würdest du sagen?

Emilia Roig
Ja, ja, also Liebe ist, also Lieben ist, oder Liebe, die Liebe, ist tatsächlich ein privates Projekt. Und das wird auch fast so kommodifiziert. Das heißt, das ist etwas, das man erhalten kann. Man kann danach suchen. Man kann auch anhand von ganz kleinen Kriterien danach suchen.
Es gibt sogar einen Markt der Liebe. Und das stimmt auch, es gibt auch diese Form der Liebe, aber das ist sehr reduktiv, Liebe darauf zu reduzieren. 

Vanessa Guinan-Bank
Du schreibst auch, dass nicht-romantische Formen der Liebe als zweitrangig eingestuft werden. Also sie bekommen einen anderen Namen wie Freundschaft, Solidarität, Empathie. Aber warum ist es denn so wichtig, dass wir sie auch als Liebe verstehen und nicht als also nur „Freundschaft“, zum Beispiel?

Emilia Roig
Weil Liebe darin fließt. Also jede Person, die Freundschaften hat, weiß auch, dass das ist eine besondere Form der Liebe. Aber man kann das nicht als einfach nur Beziehungen, die sich ergeben und die einfach da sind, ohne dass es Gefühle gibt. Also es gibt auch freundschaftliche Gefühle, die nichts anderes sind als auch Liebe.
Liebe, das ist genauso wie die Liebe, die man für Familienmitglieder, also für Bruder, Schwester, Mutter oder aber auch so für ein Haustier zum Beispiel, also das sind auch Formen der Liebe und die sollten meiner Meinung nach auch als solches benannt werden, weil wenn man nicht in einer romantischen Partnerschaft ist, dann wird davon ausgegangen, dass man keine Liebe erfährt. Und das stimmt einfach nicht. 
Also die Liebe ist um uns herum die ganze Zeit. Also sei es einfach nur auch Menschen, die besonders empfindlich sind und einen Spaziergang im Wald machen, spüren sie auch Liebe. Oder durch Freundschaften oder einfach nur so, ja, man kann auch in das Leben verliebt sein. Und genau, also deshalb ist es für mich wichtig, dass diese ganz vielfältigen, allgegenwärtigen Formen der Liebe auch so benannt werden.

Vanessa Guinan-Bank
Und dadurch, dass man sie so benennt, hoffst du auch, dass ihr gesellschaftlicher Stellenwert erhöht wird auf eine Art?

Emilia Roig
Ja, also tatsächlich, dass ihr gesellschaftlicher Wert erhöht wird und auch, dass diese Hierarchie der menschlichen Beziehungen und die Hierarchie eben der Liebe sozusagen aufgebrochen wird. Und das ist jetzt nicht mehr, also ja, dass unser Wert oder wie erfolgreich unser Leben oder unser emotionales Leben daran gemessen wird, ob wir in einer Partnerschaft sind oder nicht.
Genau, also es gehört eben zu einem Paradigmenwechsel, wo wir die Liebe anders betrachten und wo Hierarchien aufgebrochen werden, auch mit Bezug auf die Liebe.

Vanessa Guinan-Bank
Also Hierarchien zwischen den verschiedenen Formen der Liebe, die es jetzt gesellschaftlich gibt... 

Emilia Roig
Ja, und auch der unterschiedlichen Formen der Beziehungen. Also die heterosexuelle Ehe ganz an der Spitze und dann ganz unten sind eben Freundschaften unter Singles, zum Beispiel. Und warum muss es so sein? Oder dass zum Beispiel Familie automatisch über Freundschaften steht. Warum? Also es ist in meinem Fall zum Beispiel nicht der Fall, dass meine Freundinnen weniger zählen als meine Schwestern.

Vanessa Guinan-Bank
Ja, also die Kernfamilie ist ja auch die Form, in der wir hauptsächlich Familie leben und lieben in der Gesellschaft. Kannst du noch ein bisschen mehr dazu sagen, was du daran als problematisch erachtest?

Emilia Roig
Ja, also ich finde das erstmal problematisch, weil es der Realität nicht entspricht. Also die überwiegende Mehrheit der Menschen leben nicht in Kernfamilien, in biologischen Kernfamilien erstens. Und dann zweitens, weil diese Einheit, also diese familiäre Einheit auch eine Funktion hat im Kapitalismus. Es hat eine Funktion für die Zentralisierung der Macht zum Beispiel, für die Zentralisierung der patriarchalen Macht. 
Es hat auch eine Funktion für die Vereinnahmung der Care-Arbeit innerhalb von diesen Familien, vor allem die Arbeit eben der Mütter. Und das ist auch ein Ort, der also, in dem Gefährlichkeit minimiert wird. Also nämlich die Kernfamilie ist der gefährlichste Ort für Frauen und Kindern. Und darüber sollten wir auch sprechen, was eben innerhalb von diesen Kernfamilien passiert.
Und das sind nicht nur Oasen der Liebe oder so eine Beschreibung der Normalität oder ein Token der Normalität zum Beispiel, sondern das sind Familienformen, die gefördert werden, die auch belohnt werden und die auch einen ganz, ganz hohen Stellenwert haben, auch in Erzählungen, also in Kinderbüchern, in Liedern, in Werbung etc. Also das ändert sich auch langsam, aber das ist jetzt der Maßstab für ein gelungenes Leben. Und Menschen, die wegfallen von diesen Erzählungen, und die zum Beispiel nur mit einem Elternteil groß geworden sind oder keine Geschwister haben oder es gibt unzählige Formen von Familien, oder Menschen, die einfach nicht in Beziehungen, nicht in einer romantischen Partnerschaft sind oder Frauen, die keine Kinder haben, dass es immer ein defizitärer Blick auf sie gibt in unserer Gesellschaft.
Und genau, deshalb sollte die Kernfamilie, meiner Meinung nach, vom Sockel fallen und es sollte eben ehrlich und wahrhaftig über diese Familienform auch gesprochen werden. 

Vanessa Guinan-Bank
Und darüber gesprochen werden, dass das nicht die ultimative Form der Liebe ist, sozusagen. 

Emilia Roig
Ja, es ist nicht die ultimative Form der Liebe und auch es ist nicht die gesündeste. Und ich glaube, da ist es auch wichtig zu sagen, dass das Narrativ oder ja, ein Diskurs von gesund, ne, so was ist gesund, was ist eine gesunde Beziehung, was ist eine gesunde Familie, wie kann ein Kind sich gut entwickeln, was ist die gesündeste Form und die Kernfamilie gilt als die gesündeste Form eben der Erziehung für ein Kind.
Und ich würde sagen, dass es absolut gar nicht stimmt. Viele Menschen eben, die in Kernfamilien, in heterosexuellen Kernfamilien groß geworden sind, haben enorme Gewalt erfahren in diesen Strukturen. Oder wenn die patriarchalen Rollen so ständig vorgelebt werden, ist es meiner Meinung nach auch keine gesunde Erziehung sozusagen. 

Vanessa Guinan-Bank
War das auch der grund warum du es wichtig fandest über deine eigenen Erfahrungen des Kindesmissbrauchs in dem Kontext von Lieben zu sprechen?

Emilia Roig
Es war nicht der grund warum ich darüber gesprochen habe. Ich habe darüber gesprochen, weil ich einfach bemerkt habe dass es kein drumherum gab für mich, wenn ich jetzt über die Liebe sprechen will und vor allem über die Liebe in der Familie. Es hat mich sehr geprägt diese Erfahrungen, also diese Erfahrung des Kindesmissbrauchs hat mich sehr geprägt und ich glaube, wir reden auch zu selten über diese Erlebnisse, über diese Gewalt. Einfach, weil wir das als Privatsphäre, intim bezeichnen und ich möchte, dass es aus dem Bereich der Intimität rausgezogen wird, weil es ist ein gesellschaftliches Problem, es ist ein öffentliches Problem.
Nämlich die Tatsache, dass unzählige Kinder, hunderte von Kindern heute in dem Moment, wo wir sprechen, missbraucht werden. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, statistisch gesehen. Es sollte nicht in ihren Privatsphären passieren, weil ab dem Moment, wo etwas als privat bezeichnet wird, dann heißt es auch, dass diese Probleme privat gelöst werden oder dass sie eben versteckt bleiben dürfen. 
Und genau, deshalb habe ich öffentlich zum ersten mal darüber gesprochen, weil ja ich sehe dass es erst mal vielleicht einerseits ja zu meinem Heilungsprozess gehört, weil ich wurde, also das war für mich unmöglich als Kind darüber zu sprechen, also ich hätte enorme Gewalt erfahren, hätte ich darüber gesprochen. Also jahrelang musste ich das verstecken und komplett alleine damit leben und deshalb im Erwachsenenleben offen darüber zu sprechen ist auch eine art eben das Narrativ und eben zurück zu mir selbst zu mir selbst zu finden und auch andere Menschen ermutigen eben das Gleiche zu tun 
Oder ich denke mir, ich denke nicht nur von Überlebenden von sexueller Gewalt sondern auch über die Täter nach. Wenn Täter hören dass wir sprechen, wenn sie hören dass wir unsere Geschichten erzählen ohne Scham und dass wir uns nicht verstecken, dann vielleicht wächst die Angst auch ihrerseits.
Und im Moment gibt es eine nahezu, ja, eine nahezu Straflosigkeit für Täter. Und ich glaube, das hat sehr viel mit diesem Kultur des Schweigens zu tun.

Vanessa Guinan-Bank
Und der Isolierung, die halt durch, oder Isolation, die durch Kernfamilien auch entstehen kann.

Emilia Roig
Absolut, ja.

Vanessa Guinan-Bank
Du schreibst auch, dass die Kernfamilie zum Überleben als Spezies schlicht schlecht geeignet ist und das hast du vorhin auch kurz gesagt. Was meinst du damit? Warum ist es zum Überleben schlecht geeignet?

Emilia Roig
Na ja, weil wir eben keine also wir sind keine Vögel zum Beispiel, die vielleicht ja für ihr überleben evolutionär gesehen war das besser in Paare organisiert zu sein. Wir nicht, wir Menschen sind soziale Tiere, wir leben in Banden und unser Überleben ist eben von unserer Fähigkeit, miteinander zu kooperieren, uns gegenseitig zu unterstützen, so füreinander zu sorgen, abhängig. Und deshalb die Vorstellung, dass wir immer in Kernfamilien gelebt haben, ist etwas, also es ist ein Bild, das auch gefördert wird durch Popkultur und Erzählungen, wie zum Beispiel diese, es gibt so einen Zeichentrickfilm über eine Familie, die in der Steinzeit gelebt hat und dass sie so Papa, Mama, Kinder und die Mama staubsaugt die Höhle oder so.
Also solche Bilder. Aber wir wären längst ausgestorben, hätten wir nur immer zwei Eltern und zwei, drei, vier Kinder gehabt. Und deshalb, ich glaube, wir müssen uns auch verbinden mit unsere Essenz auch als Spezies. Das ist ein bisschen schwierig, das zu essentialisieren, weil wir haben uns auch so weit entfernt von unserem natürlichen Zustand, in Anführungsstrichen, dass ich möchte auch nicht in die komplett andere Richtung gehen und sagen, so ja, das ist unsere Natur, wir sind so. Sondern es ist einfach, um zu zeigen, dass Kernfamilien sind, historisch gesehen, relativ neu.

Vanessa Guinan-Bank
Und dieses Zusammentun in Zweierpaaren vor allem ist relativ neu. Wir haben ganz lange in Communities gelebt vor allem.

Emilia Roig
Genau, ja. 

Vanessa Guinan-Bank
Ja, wenn wir von Zweierpaaren reden, also wir suchen in der Liebe, besonders in der romantischen Liebe ja oft so die großen Gefühlswallungen, also dass alles ganz groß und dramatisch und so sein soll. Glaubst du, das ist die Liebe? Oder glaubst du Liebe ist vielleicht auch viel subtiler, unbemerkbarer? 

Emilia Roig
Also, da nochmal, es ist ein Spektrum. Also es gibt Liebe, die herzzerreissend ist, mit der wir nachts nichts schlafen können. Also, diese Liebe existiert auch, aber das ist nicht die einzige Erzählung der Liebe. Es gibt auch eine Form der Liebe, die so subtil ist, dass man lernen muss, es überhaupt zu spüren. Und das ist das, was ich im Kapitel Natur und Tiere versucht habe zu beschreiben, nämlich diese Form der Liebe, die unbemerkt bleibt, weil wir über Generationen hinweg eben unsere Verbindung, unseren Faden, unsere ja unsere Verbindung mit der Natur beschädigt haben. Und deshalb müssen wir das wiederherstellen und das dauert Zeit. Also wenn man zum Beispiel auf eine Wanderung geht und so ganz aufmerksam ist dann kann man diese Liebe spüren. 
Aber das verlangt glaube ich eine gewisse Intentionalität, die bei der romantischen Liebe nicht nötig ist. Weil es passiert einem. Also man lässt es mit sich selbst geschehen, weil es so überwältigend ist. Und das kann auch so sein für die Natur. Also manchmal es gibt Momente, ich kann mich noch erinnern, wo ich da stehe und durch Ehrfurcht und ja, da muss ich auch manchmal, ich bin auch total überwältigt eben von dieser Form der Liebe. Und das ist nicht nur subtil, aber ja.

Vanessa Guinan-Bank
Aber meinst du, also dass die romantische Liebe so überwältigend sein kann oder so sich so groß anfühlen kann, dass sie deswegen so einen großen Stellenwert einnimmt? Also weißt du, also Freundschaft zum Beispiel als Liebe ist ja auch oft subtiler oder nicht so dramatisch.

Emilia Roig
Ja, es ist nicht so dramatisch und subtiler aber diese ruhige Liebe tut auch extrem gut also ich glaube, es ist wichtig, auch so die ganze Palette zuzulassen. Oder zum Beispiel die Liebe zu einem Tier. Jetzt habe ich einen Hund seit zwei Wochen und ich erfahre zum ersten Mal so richtig so diese ja sehr besondere Liebe, die so unkompliziert ist. 
Und wenn ich das jetzt zum Beispiel vergleiche mit der Liebe zu meinem Sohn, also die Liebe ist natürlich sehr, sehr stark mit meinem Sohn und und nicht zu vergleichen mit dem zu meiner neuen Hündin. Aber trotzdem merke ich, dass ich sie nicht unbedingt hierarchisieren will und sagen, das hat damit absolut nichts zu tun, weil sie sind schon verbunden. Und ja, die eine Liebe ist einfach sehr anspruchslos, bedingungslos, ganz einfach.
Und die andere Liebe, also ich sage immer, mein Sohn ist mein Lehrer. Also ich muss so viel überwinden mit ihm, er triggert mich auch die ganze Zeit aber das ist auch auch Liebe. Also diese Form der Liebe ist auch sehr sehr intensiv. Ja genau und bei Freundschaften, es gibt auch Freundschaften, die extrem intensiv sind, also ich hatte wirklich Freundschaften und habe sie nach wie vor die ja an ihrer Intensität manchmal auch intensiver waren als die romantische Partnerschaft in der ich mir ich mich dann gefunden habe.

Vanessa Guinan-Bank
Ja, stimmt. Aber kannst du ein bisschen was zu der Nutzlosigkeit von Freundschaft sagen? Also du beziehst das darauf, dass sie sozusagen frei von Druck ist und das fand ich einen sehr schönen Punkt.

Emilia Roig
Ja, also Freundschaften sind nutzlos, weil sie in unserer Gesellschaft keine Funktion erfüllen. Sie haben keinen politischen Zweck, sie haben keinen wirtschaftlichen Zweck, sie haben eben keinen kulturellen Zweck. Sie erfüllen eben keine Erzählung, sie erhalten keine Norm aufrecht und deshalb sind Freundschaften sehr frei. Und Freundschaften sind die einzigen Beziehungen, die eben nicht vertraglich geregelt sind. Nicht wie die zwischen Mutter und Kind, zwischen Partner*innen, zwischen Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in, zwischen Staat und Bürger*in. Also alle diese Beziehungen sind vertraglich geregelt, weil sie eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktion erfüllen und bei Freundschaften nicht.
Also ich sage, dass Freundschaften müssen nichts tun. Sie müssen nichts liefern, sie haben keine Meilensteine, sie können sich entwickeln genauso, wie sie wollen. Aber es gibt jetzt keine besseren Freundschaften, weil sie länger sind. Also vielleicht in Deutschland, es gibt trotzdem so diese Ideen, dass je älter die Freundschaften, desto besser, desto wertvoller. Also das hat mich schon... in Frankreich ist es weniger der Fall tatsächlich, dass die ältesten Freundschaften die besten sind. Aber hier habe ich das mehrmals beobachtet, so diese Hierarchisierung von Freundschaften. 
Genau und sie sind auch nutzlos, also ich würde sogar weiter gehen. Sie sind nicht nur nutzlos, sondern sie bedrohen sogar die die patriarchale Macht, vor allem Freundschaften unter Menschen, die keine Cis-Hetero-Männer sind.
Freundschaften zwischen Frauen bedrohen die patriarchale Macht, sie bedrohen die Exklusivität sozusagen der Kontrolle, eben also emotionale Kontrolle oder so. Und das ist eine interessante Beobachtung. Ich habe wenig darüber gesprochen im Buch, aber ursprünglich in der ersten Fassung gab es ein ganzes Kapitel darüber und dann dachte ich mir, nein, also ich habe schon genug über das Patriarchat in das Ende der Ehe geschrieben, jetzt möchte ich mich wirklich dem Thema Lieben widmen ohne unbedingt jetzt diesen Blickwinkel zu entwickeln.

Vanessa Guinan-Bank
Also es ist ja auch, diese Form der Nutzlosigkeit hat was antikapitalistisches, schreibst du auch.

Emilia Roig
Ja genau, ja weil eben Freundschaften an sich, also eine Beziehung zwischen Ehemann und Ehefrau, der Staat hat ein wirtschaftliches Interesse daran, weil die Frau in dieser Beziehung eine enorme Menge an Care-Arbeit übernimmt umsonst. Und Freundschaften haben das nicht. Also es könnte sein tatsächlich, dass Freundschaften jetzt Fürsorge übernehmen und ab dem Moment, wo das wirklich sehr, also wo diese Fürsorge systematisch wird, es kann sehr gut sein, dass der Staat dann ein Interesse daran entwickelt. Ja, so zum Beispiel wie der Fürsorgegemeinschaft oder solchen Reformen. Also das könnte auch dazu führen, dass Freundschaften etwas ein bisschen mehr, also dass sie, ja, dass sie tatsächlich instrumentalisiert werden können. Aber in dem jetzigen Zustand ist es nicht der Fall.

Vanessa Guinan-Bank
Du hast schon eben so ein bisschen über die Liebe zu deiner neuen Hündin gesprochen. Kannst du noch ein bisschen mehr dazu sagen, was es mit der Liebe zu Natur und Tieren auf sich hat? Was ist das besondere an dieser Liebe? 

Emilia Roig
Also das besondere ist dass es eine Form der Zuneigung ist, die unausgesprochen ist. Das heißt ich kann jetzt kein Gespräch, also kein verbales Gespräch führen mit ihr und Auch mit der Natur. Also man kann tatsächlich es gibt eine gemeinsame Sprache, wenn man aufpasst, also es gibt tatsächlich, also ich werde das jetzt Telepathie nennen und ich nehme da ein großes Risiko ein, dass viele Menschen ab jetzt abschalten. Aber trotzdem so diese unausgesprochen Energie die zwischen ja einem Baum oder Wind oder einem Vogel und mir fließt also und ja diese diese Form der Liebe ist einfach eine ja also bedingungslose Liebe. 
Ich muss absolut nichts machen dafür dass mein Hund mich liebt. Also ich glaube, würde ich morgen aufhören, sie zu füttern, es gäbe trotzdem diese Verbindung. Und es ist eine Verbindung, die jetzt nichts über meinen Wert aussagt. Ab dem Moment wo ich lebe, also ich könnte auch ein absolut schrecklicher Mensch sein, es würde trotzdem diese Verbindung geben und das finde ich faszinierend. Das ist auch wie: Bäume geben uns die ganze Zeit Luft zum Atmen und sie gucken nicht ob wir uns gut verhalten oder nicht, ob wir ihnen was geben oder nicht. Also die Natur ist voller Liebe, also die Erde gibt uns zu essen, ohne dass wir irgendwas beweisen müssen. Und ich glaube, da könnten wir sehr, sehr viel lernen über unseren Wert als Menschen. Die Tatsache, dass es komplett entkoppelt ist von unserer Leistung. Und das ist interessant zu erleben, einfach um das kapitalistische Narrativ zu verlernen, dass wir die ganze Zeit aktiv sein müssen, leisten müssen, performen müssen, dass wir so, wie wir sind nicht wertvoll genug sind.

Vanessa Guinan-Bank
Diese Beispiele, die du jetzt genannt hast, die zeugen ja auch davon, wie untrennbar wir eigentlich mit der Natur verbunden sind und das sehen wir ja oft auch nicht. 

Emilia Roig
Ja absolut. Das ist ein Effekt von der Aufklärungszeit. Also ich rede sehr oft von der Aufklärung – also eher kritisch äußere ich mich darüber. Aber absolut, diese künstliche Trennung zwischen Mensch und Natur, die auch wesentlicher Teil des wissenschaftlichen Rassismus auch war. Also das, was als menschlich gilt, ist überlegen und verdient Respekt und verdient eine Stimme, verdient Schutz. Und alles, was als nicht menschlich gilt, eben kann ausgebeutet, getötet und wie ein Objekt behandelt werden. Und das, was entscheidet was menschlich ist, also es ist nicht so, dass alle Menschen menschlich waren, zum Beispiel indigene Menschen wurden als nicht menschlich betrachtet oder Schwarze Menschen auch nicht, Frauen eine lange Zeit auch nicht. 
Und deshalb, wie gehen wir eben mit diesem Begriff der Menschlichkeit um? Ab dem Moment, wo es ein Mensch ist, dann ist diese... – und ich musste das sehen, weil wenn ich jetzt über meine Hündin spreche mit meiner Mutter, so sie meinte, ja, ich bin ein bisschen schockiert, dass du so, du redest über sie, als wäre sie ein Mensch. Und ich habe sie gefragt, aber warum ist das verstörend? Warum ist es verstörend, dass ich das mache? Müssen wir immer wieder unsere Überlegenheit als Spezies immer wieder durchsetzen, auch durch Sprache und durch Haltung, dass wir wirklich sehr klar machen, dass wir über den Tieren sind, dass wir über der Natur sind. 
Und ich glaube, ja, deshalb können wir davon lernen, einfach so diese Hierarchien aufzubrechen und auch überhaupt zu sehen, okay, warum sind Tiere automatisch weniger wert als wir? Nur weil sie nicht sprechen, wie wir sprechen, weil sie sprechen, aber nur anders. Nur weil sie sind nicht so intelligent, wie wir sind, wie wir das auch beschrieben haben. Weil Intelligenz, also ich spreche auch viel über Intelligenz in dem Buch, aber wir sollten beschreiben, was ist intelligent? Also zum Beispiel Elon Musk ist hochintelligent. Ist es diese Intelligenz, die wir über alles stellen wollen?
Oder ist es vielleicht so die Intelligenz von Pflanzen die anders angesetzt ist als unsere emotionale oder ja ans-Gehirn-gebundene Intelligenz oder wollen wir eben für die Intelligenz von Pilzen zum Beispiel, die auch hochintelligent sind aber andere Outcomes produzieren, also diesen ganzen fragen sind dabei sehr wichtig.

Vanessa Guinan-Bank
In deinem letzten Kapitel geht es ja um die Liebe zum Kosmos und der Kosmos ist für dich auch ein Schutzraum. Wie sieht denn die Liebe zum Kosmos aus?

Emilia Roig
Also da muss ich, wenn ich über die Liebe zum Kosmos spreche, muss ich auch über den Tod sprechen. Weil für mich, ist das der Raum, der uns verbindet, der Leben und Tod verbindet und wo es keine wirkliche Trennung gibt. Deshalb finde ich diesen Ort extrem tröstlich. Und durch seine Permanenz, also die Tatsache, dass es eben jeder Zeitrahmen oder Raum widersteht, also dass ist ein Raum ohne, also zeitlos und auch raumlos sozusagen, finde ich, dass es ermöglicht uns, uns eben über den materiellen Bereich hinaus uns wahrzunehmen. Und es gibt Menschen, die sehr bequem sind in dem materiellen Bereich und denken so, ja, das gibt es nur, wir sind das, wir sind so materielle Wesen. Sie würde das nicht mal so beschreiben, weil es eben keine Beschreibung, eben weil dafür keine Beschreibung nötig ist. Aber für mich ist diese ja, die Existenz eben von nicht-materiellen Sphären sehr wichtig. In meiner Wahrnehmung und wie ich durch das Leben gehe, wie ich eben ja die Geschichte der Menschheit und auch was uns gerade passiert, also ich ich kann ohne diese Vorstellung, dass es über diese materielle Sphäre hinaus noch etwas gibt, schlecht leben tatsächlich.

Vanessa Guinan-Bank
Und du fühlst dich auch alleine ohne diese Vorstellung, stimmt das?

Emilia Roig
Ja, also das ist ein Gefühl von Einsamkeit, aber vor allem von Sinnlosigkeit. Und ich kann mit Sinnlosigkeit schlecht leben. Also es ist wichtig für mich einen Sinn zu finden. Ja, und auch der Kosmos, wir sind Teil davon. Also für mich ist es unmöglich zu denken, dass wir so auf Sterne schauen, auf den Mond, auf die Sonne und dass wir das als separat von uns betrachten.

Vanessa Guinan-Bank
Vielleicht zum Abschluss einen der berührendsten Momente in deinem Buch fand ich, als du realisierst, dass deine Wut und Trauer und Zorn aus deiner Liebe für dich selbst geboren waren, der dich so vor Schmerz und Destruktionen schützen will. Magst du davon ein bisschen erzählen?

Emilia Roig
Ja, weil also als ich das Buch geschrieben habe, wusste ich, ich muss irgendwann über die Selbstliebe sprechen aber ich habe es bisher nicht so richtig gefühlt. Und dann ganz zum Schluss, als es eben darum ging, habe ich ja diese Geschichte erzählt mit meinem Vater, also eine sehr krasse Ablehnung. Und dass ich da wirklich überwältigende Wut empfunden habe, so Zorn. Und ich merkte, diese Wut ist Liebe.
Und wir lernen vor allem als Menschen, die als Frauen sozialisiert werden, unsere Wut, also für unsere Wut Scham zu empfinden oder Schuld zu empfinden. Jedenfalls es nicht als eine positive Emotion zu sehen, eine Emotion mit gewissen Botschaften. Die Botschaft der Wut ist Schutz. Also es ist, wenn ich Wut empfinde, dann heißt es, also dass ich versuche, mich zu schützen. Ja, und ab dem Moment, wo wir uns mit dieser Emotion verbinden können, dann kann wirklich sehr schöne Sachen daraus geboren werden. 

Vanessa Guinan-Bank
Emilia, vielen Dank für das Gespräch.

Emilia Roig
Vielen Dank, hat mich sehr gefreut, mit dir zu reden. 

Vanessa Guinan-Bank
Und wer jetzt nachlesen möchte, der kann sich den kleinen Essay-Band Lieben von Emilia Roig holen, erschienen beim Verlag Hanser Berlin. Bis zum nächsten Mal.

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Der Text wurde KI-gestützt transkribiert.